Literaturräume, Schulbuch

Der Unterschied Dennoch darf man einen grundlegenden Unterschied nicht übersehen: Leverkühn war es zu tun um eine neue Kreativität der Kunst; das NSRegime hingegen beschwor die menschliche Barbarei herauf. Und während Lever­ kühn seinen Pakt am Ende bereute, konnte 1945 von Reue nicht bei allen Deutschen und keiner der NSGrößen die Rede sein. Noch zweimal Mann: Klaus Mann: „Mephisto“ (1936), Heinrich Mann: „Der Untertan“ (1918) Im amerikanischen Exil schreibt Thomas Manns Sohn Klaus 1936 den Roman „Mephisto. Roman einer Karriere“. Er schildert die Anbiederung der Kunst und deren Verstrickung in die NSDiktatur. Die Hauptfigur trägt deutliche Züge des gefeierten Schauspielers, Theaterdirektors und über Jahrzehnte als Idealbesetzung des Mephisto aus Goethes „Faust“ gefeierten Gustav Gründgens, der so wie viele Künstler zu einem willigen Helfer Hitlers wurde. Aus welchen Charakteren und mit welchen Erziehungsmethoden sich die willigen Helfer des Regimes formen ließen, hatte Heinrich Mann, Thomas Manns Bruder, schon 1916 im Roman „Der Untertan“ dargestellt. Der „Un­ tertan“ ist Diederich Heßling, der sich allen Umständen anpasst, nach unten tritt, nach oben buckelt, und von Vater und Schule in diesem Verhalten bestärkt wird: 361 1 vierte Klasse Gymnasium 2 Klassenvorstand 3 Klassenbester Investition an Glauben, Begeisterung, historischem Hoch-Affekt, die damals getätigt wurde und nun in einem Bankrott ohnegleichen verpuffen soll. Nein, ich will’s nicht gewünscht haben – und hab’ es doch wünschen müssen – und weiß auch, dass ich’s gewünscht habe, es heute wünschen und es begrü- ßen werde: aus Hass auf die frevlerische Vernunftver- achtung, die sündhafte Renitenz gegen die Wahrheit, […] den schmierenhaften Missbrauch und elenden Ausverkauf des Alt- und Echten, des Treulich-Trau- lichen, des Ur-Deutschen, woraus Laffen und Lügner uns einen sinnberaubenden Giftfusel bereitet. Der Riesenrausch, den wir immer Rauschlüsternen uns daran tranken, und in dem wir durch Jahre trügerischen Hoch-Lebens ein Übermaß des Schmählichen verübten, – er muss bezahlt sein. 26 28 30 32 34 36 38 40 Einmal nur, in der Untertertia 1 , geschah es, dass Diederich jede Rücksicht vergaß, sich blindlings betätigte und zum siegestrunkenen Unterdrücker ward. Er hatte, wie es üblich und geboten war, den einzigen Juden seiner Klasse gehänselt, nun aber schritt er zu einer ungewöhnlichen Kundgebung. Aus Klötzen, die zum Zeichnen dienten, erbaute er auf dem Katheder ein Kreuz und drückte den Juden davor in die Knie. Er hielt ihn fest, trotz allem Widerstand; er war stark! Was Diederich stark machte, war der Beifall ringsum, die Menge, aus der heraus Arme ihm halfen, die überwältigende Mehrheit drinnen und draußen. […] Nach dem Ver- rauchen des Rausches stellte wohl leichtes Bangen sich ein, aber das erste Lehrergesicht, dem Diederich begegnete, gab ihm allen Mut zurück; es war voll verlegenen Wohlwollens. Andere bewiesen ihm offen ihre Zustimmung. Diederich lächelte mit demü- tigem Einverständnis zu ihnen auf. Er bekam es leichter seitdem. Die Klasse konnte die Ehrung dem nicht versagen, der die Gunst des neuen Ordinarius 2 besaß. Unter ihm brachte Diederich es zum Primus 3 und zum geheimen Aufseher. Wenigstens die zweite dieser Ehrenstellen behauptete er auch später. Er war gut Freund mit allen, lachte, wenn sie ihre Streiche ausplauderten, ein ungetrübtes, aber herzliches Lachen, als ernster junger Mensch, der Nachsicht hat mit dem Leichtsinn – und dann in der Pause, wenn er dem Professor das Klassenbuch vorlegte, berichtete er. Auch hinterbrachte er die Spitznamen der Lehrer und die aufrührerischen Reden, die gegen sie geführt worden waren. […] Andererseits emp- fand er gegen die Mitschüler, deren Fortkommen seine Tätigkeit in Frage stellte, zumeist keine persönliche Abneigung. Er benahm sich als pflicht- mäßiger Vollstrecker einer harten Notwendigkeit. 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 AUFGABE > Die Psychologie würde Leute wie Diederich Heßling als „autoritären Charakter“ bezeichnen! Was kenn­ zeichnet, aus der zitierten Stelle aus Manns Roman „Der Untertan“ zu schließen, einen solchen Charakter? Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=