Literaturräume, Schulbuch
354 DIe lIteratur zWIschen 1945 unD 1968 Schwarzer Herbstmantel, die Haare in die Stirn frisiert (Römerfrisur). Es ist Caligula. Er hält am Zaun und wirft einen bösen Blick in den Obstgarten. Unheimlich, schemenhaft wirkt er in der Bühnentiefe. Eine Bäuerin (bemerkt ihn) : Resi! Schau. Da ist er schon wieder! Die Bäuerinnen hören auf zu singen. In diese plötzliche Stille hinein lässt Caligula drohend sein Fahrrad klingeln. Vorhang 2. Akt: Eine Bauernstube. Alles ist aus schwerem Holz gemacht, die Stühle, die Bank dunkel, der mächtige Tisch etwas heller. Um ihn sitzen die Bäuerinnen aus dem ersten Akt und verzehren ihr Abendbrot: Eine pastose 1 Gemüsesuppe. Das geschieht sehr einfach, beinahe andächtig. Caligula sitzt auch dabei, aber er hat keinen Teller vor sich. Nervös, eckig und auffor dernd sieht er die schmatzenden Bäuerinnen an. Sie nehmen kaum Notiz von ihm. Resi (ihren Löffel abschleckend) : Ah … Vorhang 3. Akt: Der Lager und Abstellraum auf dem Gut. Sensen, Hacken und Schaufeln sind hier abgestellt. In einer dunklen Ecke steht ein Mähdrescher. Im Vordergrund, auf einem riesigen Haufen Apfelbutzen, sitzt Caligula. Neben ihm Resi. Neben ihr: ihre Kleidung. Beide essen Äpfel. Vollgeschlagene Bäuche. Über ihnen hängt (nur locker auf zwei glatte Trambäume gelegt) eine schwere Kohlenschaufel. C. in bester Laune, er schießt, sobald er einen Apfel gegessen hat, den Butzen in Richtung Schaufel. Wenn er trifft, schwankt die Schaufel, dann lacht er und klatscht Resi auf den Rücken. Resi (ängstlich zur Kohlenschaufel aufblickend) : Na! Net! Bittschön! Caligula, von Resis Angst aufgestachelt, nimmt jetzt gleich zwei Hände voll Apfelgriebs 2 und schießt damit (besonders scharf ) auf die Kohlenschaufel, die ins Schwanken gerät, ausrutscht und blechern auf seinen Kopf knallt. Tot, ohne ein Sterbenswörtchen versinkt er im Gebirge der Butzen; nur seine Römerfrisur sieht noch heraus. Resi (spitz) : Sixt? Vorhang. Ende 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 Der fokus Eine Frage des Stils Was ist Ihr Stil? In welchem Stil Sie sprechen oder schreiben, hängt vor allem davon ab, um welche Adressaten es geht und wel che Absicht Sie mit Ihrem Sprechoder Schreibakt verfolgen. Die Tatsache, dass Ihre Mannschaft ein Spiel verlo ren hat, können Sie zum Beispiel neutral ausdrücken: Wir haben gestern verloren – mundartlich-salopp – Wir haben einen ganz schönen „Schraufen“ kriegt – etwas vulgär – Wir haben die Patschen gestreckt – oder gewählt – Man hat uns mit Recht besiegt. Neben diesen frei wählbaren Stilebenen, die mit dem Vokabular zusammenhän gen, können Sie aber noch etwas nützen: die verschiedenen Möglichkeiten des Satzbaus. Die Möglichkeiten der Syntax Die deutsche Sprache bietet die Möglichkeit zu umfangreichen Satzperioden, die weit über einfache Relativsätze hinausgehen: verbale Klammern, eingeschobene Gliedsätze, Gliedsätze verschiedenenen Grades, Infinitivund Par tizipialgruppen. Dies hat mit dem Einfluss des Lateinischen zu tun. Die Übersetzer des Mittelalters prägten ihren Stil am Latein. Auch die Humanisten der Renaissance nahmen sich die lateinische Literatur und Sprache zum Vor bild. Im Gegensatz dazu neigt das Englische, das diesen lateinischen Einfluss nicht kennt, zu kurzen Sätzen. 1 pastos: dick 2 Griebs: Kerngehäuse von Äpfeln AUFGABEN > Fassen Sie in der Gruppe stichwortartig die Unterschiede zwischen dem Anliegen von Bauers „Geschichtsdrama“ „Caligula“ und den historischen Dramen aus Klassik und Sturm und Drang – siehe z. B. „Götz von Berlichingen“, „Wilhelm Tell“ – zusammen! > Holen Sie Informationen zum historischen Caligula ein; welches reale Ereignis entspricht dem Tod durch die Kohlenschaufel in Bauers Mikrodrama? Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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