Literaturräume, Schulbuch
Freies Geleit (Aria II) Mit schlaftrunkenen Vögeln und winddurchschossenen Bäumen steht der Tag auf, und das Meer leert einen schäumenden Becher auf ihn. Die Flüsse wallen ans große Wasser, und das Land legt Liebesversprechen der reinen Luft in den Mund mit frischen Blumen. Die Erde will keinen Rauchpilz tragen, kein Geschöpf ausspeien vorm Himmel, mit Regen und Zornesblitzen abschaffen die unerhörten Stimmen des Verderbens. Mit uns will sie die bunten Brüder und grauen Schwestern erwachen sehn, den König Fisch, die Hoheit Nachtigall und den Feuerfürsten Salamander. Für uns pflanzt sie Korallen ins Meer. Wäldern befiehlt sie, Ruhe zu halten, dem Marmor, die schöne Ader zu schwellen, noch einmal dem Tau, über die Asche zu gehn. Die Erde will ein freies Geleit ins All jeden Tag aus der Nacht haben, dass noch tausend und ein Morgen wird von der alten Schönheit jungen Gnaden. 347 Das funDament Enzensbergers Gedichte erregen Protest Die ersten Gedichtbände Enzensbergers heißen „verteidigung der wölfe“ (1957), und „landessprache“ (1960). Für den Autor sollen Gedichte „gebrauchsgegenstände“ sein und den Unmut über eine Gesellschaft ausdrücken, die zwar wirtschaftlich floriert, aber stagniert, was die Freiheit und Entfaltung des Einzelnen betrifft, „wo es aufwärts geht, aber nicht vorwärts“ . Enzensberger distanziert sich vor allem von Gottfried Benns absoluten Gedichten, die weder auf Kommunikation noch auf gesellschaftliche Wirkung aus sind. Enzensberger beherrscht wie Bachmann die lyrische Sprache. Nur weil ein Text politische Forderungen erhebt, ist er für Enzensberger noch lange kein sprachliches Kunstwerk. Enzensbergers Beharren auf der Form brachte ihm heftige Angriffe von politischen Gruppen ein, die zwar seine Kritik für richtig hielten, aber seine poetische Sprache als „konservativ“ ablehnten. Der „Ingeborg-Bachmann-Preis“ Einer der wichtigsten und bekanntesten Preise für deutschsprachige Gegenwartsliteratur, der jedes Jahr medial spektakulär inszeniert wird, erinnert an Ingeborg Bachmann. Die Autorinnen/Autoren präsentieren in Klagenfurt, dem Geburtsort Bachmanns, vor Jury und LivePublikum ihre Texte. Das Urteil der Jury erfolgt nach dem Beispiel der Gruppe 47 gleich nach der Lesung. Bis 1999 hieß die Veranstaltung „Ingeborg BachmannPreis“, im Jahr 2000 wurde sie in „Tage der deutschsprachigen Literatur“ umbenannt. Kritiker bezeichnen die Veranstaltung als „Mutter aller literarischen Schlachten“, „Literatur-Wallfahrt an den Wörther- see“ oder als „literarischen Billigurlaub der Branche“ . • Besuchen Sie die Internetseite http://www.tourliteratur.de/preise/bachmannpreis.htm. Sie finden dort eine Übersicht zu allen bisherigen Preisträgern. Gestalten Sie mit Hilfe von Literaturlexika oder Internet in Gruppen das literarische Porträt eines Preisträgers/einer Preisträgerin Ihrer Wahl. • Besuchen Sie die Seite http://bachmannpreis.orf.at/bachmannpreis und lesen Sie dort für einen Bericht in der Klasse die Informationen zum jeweils aktuellen Wettbewerb. Sie können auf dieser Seite auch Lesungen, Diskussionen, Interviews, Preisverteilung als Video anschauen! PROJEKT 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 AUFGABEN > Geben Sie in eigenen Worten wieder, was die Erde „will“ und was sie „nicht will“! > Welche Verse widmen sich dem Element „Wasser“, welche dem Element „Luft“? > Welche Beziehung lässt das lyrische Ich zu den Tieren erkennen? > Wenn Sie das Gedicht laut lesen, merken Sie seinen Klangreichtum. Besonders „klangreich“ ist die zweite Strophe! Welches Stilmittel dominiert in dieser Strophe? Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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