Literaturräume, Schulbuch
337 Der leseraum 6 „Mir viln nisht shtarbn!“ Heimrad Bäcker: „nachschrift“ (1986) In den Originalen steckt das Grauen Die NSTötungsmaschinerie in den Lagern lässt sich dichterisch nicht darstellen, denn Literatur macht das Grau en konsumierbar. Dieser Ansicht ist auch der österreichische Autor Heimrad Bäcker. Auch ihm ist klar, dass jede Art der Beschreibung die Wirklichkeit verdeckt und nur wenig mit dem Ausmaß des Leidens und Grauens zu tun hat. Bäcker wählt einen neuen Weg. „Es genügt“ , so meint er, die „Sprache der Täter und der Opfer zu zitieren. Es genügt, bei der Sprache zu bleiben, die in den Dokumenten aufbewahrt ist. Zusammenfall von Dokument und Ent- setzen, Statistik und Grauen.“ Bäcker hat die schriftlichen Spuren dieser Wirklichkeit gesammelt: Transportlisten, Befehle, Verhaftungsgründe, Beschreibung der medizinischen Experimente, letzte Briefe, Fetzen mit Nachrich ten, Todesahnungen, Lebenswünschen, Kilometerangaben der Todesmärsche mit Opferzahlen. Jedem Doku ment, so kurz es auch sein mag, überlässt „nachschrift“, aus dem Sie in der Folge Auszüge finden, eine ganze Seite und gibt ihm so Bedeutung. 1997 veröffentlichte Bäcker „nachschrift 2“. Die den Dokumenten voran gestellten Überschriften wurden zur Orientierung eingefügt. Die von Bäcker gewählte Rechtschreibung wurde beibehalten. Paul Celan: „Todesfuge“ Erforschen Sie eines der meistzitierten Gedichte der modernen deutschsprachigen Literatur. Besuchen Sie dafür die Seite http://www.celanprojekt.de/. Sie finden dort den Text zum Kopieren und Herunterladen. Sie können sich den Text auch vorlesen lassen. Der Text wird interpretiert, „seziert“, erläutert und ist in verschiedene Sprachen übersetzt. Weitere Informa tionen finden Sie zu Celans Biographie, zu den Konzentrationsund Vernichtungslagern. Eine Kunstgalerie präsentiert in verschiedenen Bildern die graphische Wiedergabe der berühmtesten Metapher des Gedichts, „schwarze Milch der Frühe“ . Eine mögliche Arbeitsmethode: Aufteilung der auf der Internetseite angebotenen Informationen auf Gruppen, Präsentation der einzelnen Informationen in der Klasse. PROJEKT Verhaftungsgründe weil sie sich im prater aufgehalten haben weil er versucht hat, den rennplatz in der freudenau zu betreten weil er alpenhütten aufgesucht und dort genächtigt hat weil sie ohne genehmigung wien verlassen und sich über einen monat in eisenerz aufgehalten hat weil sie ohne behördliche genehmi- gung wien verlassen und sich nach mariazell begeben hat weil sie in einem stadtbahnzug einen sitzplatz einnahm weil er fortgesetzt die ausgehzeit über- schritten hat weil sie wiederholt gaststätten, kinos und theater besucht hat weil er wiederholt kinos und öffentliche gaststätten aufgesucht hat weil er verbotswidrig einen trachtenanzug trug und unterhaltungslokale besuchte weil er sich beim einkauf von zigaretten als arier ausgab weil sie den deutschblütigen altwarenhändler franz fries gebeten haben, ihnen lebensmittel zu überlassen weil sie verbotswidrig im besitze eines rundfunkgerätes war weil er während der arbeit eine arbeitsbluse ohne judenstern getragen hat weil er organe der universi- tät wien über seine abstammung in irrtum geführt hat weil sie erst nach 2 tagen den zusätzlichen vornamen sara angenommen haben weil er mit deutschblütigen personen freundschaftlichen verkehr unterhielt weil er fortgesetzt arische patienten behandelt hat […] Der Abtransport soweit geheizte öfen vorhanden sind, ist nicht mehr nachzulegen. handelt es sich um dauerbrandöfen (kachelöfen oder ähnliches), so ist die ofentür aufzuschrauben, damit das feuer noch in der zeit, die sie in der judenwohnung sind, ausgeht. wenn sie die wohnung verlassen, muß das feuer gelöscht sein sie werden ersucht, die schlüssel an sämtlichen behältnissen, schränken usw. stecken zu lassen, ebenso die inneren wohnungsschlüssel. soweit sie die schlüssel an einem besonderen schlüsselbund haben, sind sie von diesem abzumachen und an das 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlag öbv
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