Literaturräume, Schulbuch

mochte gerade diese Tasse so gern. Jetzt hab ich sie kaputt gemacht. Ausgerechnet diese Tasse, die sie so gern mochte. Ich wollte sie ausspülen, da bin ich ausgerutscht. Ich wollte sie nur ein bisschen kalt ausspülen und deine Kirschen da hineintun. Aus dem Glas trinkt es sich so schlecht im Bett. Das weiß ich noch. Daraus trinkt es sich ganz schlecht im Bett. Der Kranke sah auf die Hand. Die Kirschen, flüsterte er, meine Kirschen? Der Vater versuchte noch einmal, hochzukommen. Die bring ich dir gleich, sagte er. Gleich, Junge. Geh schnell zu Bett mit deinem Fieber. Ich bring sie dir gleich. Sie stehen noch vorm Fenster, damit sie schön kalt sind. Ich bring sie dir sofort. Der Kranke schob sich an der Wand zurück zu seinem Bett. Als der Vater mit den Kirschen kam, hatte er den Kopf tief unter die Decke gesteckt. 333 Der leseraum 2 „Über stinkendem Graben, Papier voll Blut und Urin“ Günter Eich: „Latrine“ und „Vorsicht“ (1948) Keine Sprachkünstler Günter Eich hat seinen ersten großen Erfolg mit dem Gedichtband „Abgelegene Gehöfte“ (1948). Im Gegensatz zu den Expressionisten oder Symbolisten wollen Dichter wie Eich keine sendungsbewussten Propheten, Magier oder Sprachkünstler sein. Sachliches Aufzählen einfacher Gegenstände, alltäglicher Situationen und emotions­ lose Selbstbeobachtung bestimmen Inhalt und Form der Lyrik. Ein Beispiel ist das Gedicht „Latrine“. Auch die Natur ist, wie das Gedicht „Vorsicht“ zeigt, nicht mehr Ziel für Sehnsüchte oder romantische Gefühle. 52 54 56 58 60 62 64 66 68 Latrine Über stinkendem Graben, Papier voll Blut und Urin, umschwirrt von funkelnden Fliegen, hocke ich in den Knien, den Blick auf bewaldete Ufer, Gärten, gestrandetes Boot. In den Schlamm der Verwesung klatscht der versteinte Kot. Irr mir im Ohre schallen Verse von Hölderlin. In schneeiger Reinheit spiegeln Wolken sich im Urin. Geh aber nun und grüße die schöne Garonne. Unter den schwankenden Füßen schwimmen die Wolken davon. Vorsicht Die Kastanien blühn. Ich nehme es zur Kenntnis, äußere mich aber nicht dazu. Das HölderlinGedicht, das Eich „im Ohr schallte“: Andenken (1804) Der Nordost wehet, Der liebste unter den Winden Mir, weil er feurigen Geist Und gute Fahrt verheißet den Schiffern. Geh aber nun und grüße Die schöne Garonne, Und die Gärten von Bordeaux Dort, wo am scharfen Ufer Hingehet der Steg und in den Strom Tief fällt der Bach, darüber aber Hinschauet ein edel Paar Von Eichen und Silberpappeln […]. 2 4 6 8 10 12 14 16 2 4 6 8 10 12 2 AUFGABEN > Welches Stilmittel kennzeichnet die Kurzgeschichte? Wie ist das Verhältnis von Erzählzeit und erzählter Zeit? Welchen Konflikt erwartet der Leser nach der Lektüre der ersten etwa 20 Zeilen? Welche Position nimmt der Leser/die Leserin anfangs gegenüber dem Vater ein? Aus wessen Perspektive nimmt man zunächst den Vater wahr? Welchem Wahrnehmungsirrtum unterliegt der Junge? Wie wird man den Vater am Schluss des Textes beurteilen? An welcher Stelle hat sich für Sie die Einstellung zum Vater geändert? > Die Kurzgeschichte hat den typischen Beginn – fehlende Einleitung, Einführung der Personen oft mit einem Personalpronomen – und den typischen offenen Schluss. Schreiben Sie einen neuen Schluss: „Und dann zieht der Junge die Decke vom Kopf weg …“ Nur zu Prüfzweck n – Eigentum des V rlags öbv

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