Literaturräume, Schulbuch
33 Der leseraum 6 Die Sorge um das Reich und um sich selbst Die politischen und polemischen Sprüche Walthers von der Vogelweide (um 1200) Walther: der erste politische Dichter des Mittelalters Sprüche sind im Mittelalter ebenso gesungen worden wie Lieder. Vor Walther von der Vogelweide war Spruch dichtung vor allem lehrhaft. Ihr Inhalt: religiöse Anweisungen, Tugendlehren, praktische Tipps für den Alltag, Lob des Herrschers. Walther setzt als erster deutscher Dichter die Sprüche als polemischparteiische, propagandis tische und persönliche Waffe ein. Die Sorge um das Reich und um sich selbst Nachfolgewirren nach dem unerwarteten Tod des deutschen Kaisers Heinrich VI. machen Walther zum poli tischen Dichter. Staufer und Welfen kämpfen um die Herrschaft. Frankreich, England und der Papst schalten sich ein. Die Fürsten wechseln nicht nur einmal die Fronten zwischen den Kandidaten für die Krone. Ein Reich in Unordnung kann auch Walther nicht gleichgültig lassen. Zu wichtig ist politische Stabilität für einen Dichter, der auf Kaiser, Fürsten und Höfe als „Sponsoren“ angewiesen ist. Häufig wechselt Walther die Fronten, er steht immer auf der Seite derer, die ihm den Zusammenhalt des Reiches zu gewährleisten scheinen. Zu höchster Scharfzün gigkeit bringt es Walther immer dann, wenn es gegen Papst Innozenz III. geht, den Walther als gefährlichen Gegner des Reiches sieht. Der Beginn des ersten Reichsspruchs in mittelhochdeutscher Sprache Ich saz ûf eime steine, und dahte bein mit beine; dar ûf satzt ich den ellenbogen; ich hete in mîne hant gesmogen daz kinne und ein mîn wange. dô dâhte ich mir vil ange, wie man zer werlte solte leben […]. „Vokabular“: ange = bange; welte = Welt Der zweite Reichsspruch Ich hörte die Wasser rauschen und sah die Fische schwimmen, ich sah alles, was in der Welt war, Wald, Feld, Laub, Röhricht und Gras, alles, was schwimmt oder fliegt oder Beine zur Erde biegt, das sah ich und sage Euch dies: keines lebt ohne Feindschaft. > Lesen Sie den Beginn des so genannten „Ersten Reichsspruchs“ in mittelhochdeutscher Sprache und die Übertragung des „Zweiten Reichsspruchs“! > Auf welchen Spruch bezieht sich das Bild Walthers von der Vogelweide aus der berühmten „Heidelberger Liederhandschrift“ (S. 31), die am Beginn des 14. Jahrhunderts entstand und in 137 Porträts die bedeu tendsten Dichter des Mittelalters präsentiert? Versuchen Sie mit Hilfe des Bildes diese Verse zu „übersetzen“! > Welche Parallelen sieht Walther zwischen Tieren und Menschen, wodurch unterscheiden sie sich voneinan der? Wozu ruft der Dichter die Deutschen auf? L A L AUFGABEN 2 4 6 2 4 6 8 17 Jahre Wirren im Reich INFO 1197: die Ausgangslage Heinrich VI., Sohn des Kaisers Friedrich Barbarossa, stirbt. Sein Sohn Friedrich ist erst 3 Jahre alt. Zwei Männer wollen das Reich regieren: der Staufer Philipp von Schwaben und der Welfe Otto von Braunschweig. 1198: Philipp und Otto Beide werden gewählt. Wahl und Krönung aber entsprechen nicht den Regeln: Philipp hat die Krönungsinsignien (Krone, Reichsapfel, Reichsschwert), aber Wahl und Krönung finden nicht in Aachen statt, dem traditionellen Ort der Wahl. Otto wird in Aachen gewählt, aber ihm fehlen die Insignien der Macht. Beide Wahlen sind somit anfechtbar. 1201: Papst Innozenz und Otto In den Streit greift Papst Innozenz III. ein. Er stellt sich auf die Seite Ottos, der ihm Gebiete für den Kirchenstaat überlässt. Philipp wird von Innozenz gebannt. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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