Literaturräume, Schulbuch
320 DIe lIteratur zWIschen 1925 unD 1945 Hans Schmeier Heimweh Manchmal, wenn ich durch London geh, irgendwo im Nebel steh, ist mir zum Weinen. Manchmal tut das Fremdsein weh, wenn ich mein Wien vor den Augen seh mit den buckligen Pflastersteinen. Mascha Kaléko Inventar 1 Haus ohne Dach Kind ohne Bett Tisch ohne Brot Stern ohne Licht. 2 Fluss ohne Steg Berg ohne Seil Fuß ohne Schuh Flucht ohne Ziel. 3 Dach ohne Haus Stadt ohne Freund Mund ohne Wort Wald ohne Duft. 4 Brot ohne Tisch Bett ohne Kind Wort ohne Mund Ziel ohne Flucht. Die innere Emigration Anders als die ins Exil geflohenen Autoren und Autorinnen versuchten manche durch eine „Emigration nach innen“ als „geistige Opposition“ Widerstand zu leisten. Sie wollten mit ihrer Literatur die Menschen in Deutsch land ermutigen, indem sie in der Natur, der christlichen Religion und im klassischhumanistischen Erbe eine Al ternative zur NSIdeologie beschrieben. Jede offene Kritik am Regime aber verbot die Zensur. Deshalb prakti zierten die kritischen Autoren/Autorinnen, die im Land bleiben wollten, die Kunst des „ZwischendenZeilen Schreibens“ und der Anspielungen. So wurden zum Beispiel historische Romane verfasst, deren negative Figuren als Hitler interpretiert werden konnten. Beispiele dafür sind „Der Großtyrann und das Gericht“ von Werner Ber gengruen (1935) oder „Las Casas vor Karl V.“ von Reinhold Schneider (1938). Diese Tarnung der Kritik barg je doch das Risiko, dass die Aussagen nicht als aktuellpolitische verstanden wurden. Nach dem Ende des Krieges kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen „inneren Emigranten“ und Exilautoren. Der in Deutschland gebliebene Autor Frank Thieß, von dem der Begriff „innere Emigration“ stammt, attackierte nach dem Ende des Krieges die Exilautoren/autorinnen heftig und pauschal, ohne die schwierige Situation der Emigranten zu be rücksichtigen: 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 2 4 6 Auch ich bin oft gefragt worden, warum ich nicht emigriert sei, und konnte immer nur dasselbe antworten: falls es mir gelänge, diese schauerliche Epoche (über deren Dauer wir uns freilich alle getäuscht hatten) lebendig zu überstehen, würde ich dadurch derart viel für meine geistige und mensch- liche Entwicklung gewonnen haben, dass ich reicher an Wissen und Erleben daraus hervorginge, als wenn ich aus den Logen und Parterreplätzen des Auslands der deutschen Tragödie zuschaute. […] Auch möchte ich nebenher erwähnen, dass viele von uns schon deshalb nicht emigrieren konnten, weil sie wirtschaftlich außerstande waren. Thomas Mann fühlte sich durch solche Stellungnahmen provoziert. Er tat die in Deutschland gebliebenen Auto ren als „Ofenhocker“ ab und antwortete heftig: „Es mag Aberglaube sein, aber in meinen Augen sind Bücher, die von 1933 bis 1945 in Deutschland überhaupt gedruckt werden konnten, weniger als wertlos und nicht gut, in die Hand zu nehmen. Ein Geruch von Blut und Schande haftet ihnen an. Sie sollten alle eingestampft werden.“ 2 4 6 8 10 12 AUFGABEN > Vergleichen Sie die Sprache und Form der drei Gedichte: Welcher Text bleibt am abstraktesten, welcher befasst sich mit konkreten Problemen? > Welches Gedicht zeigt Ihrer Ansicht nach eine besonders resignativtraurige Stimmung, welches die Hoffnung, dass die NSDiktatur sich nicht endgültig festsetzen kann? > Wie deuten Sie in Kramers Gedicht den Vers „und im Dorf […] bringt dir, Vater, einst dein Sohn ein Glas“ ? Nur zu Prüfzwecken – Eig ntum des Verlags öbv
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