Literaturräume, Schulbuch
318 DIe lIteratur zWIschen 1925 unD 1945 „Fort, nur fort aus diesem zusammengebrochenen Land!“ Die Bücherverbrennung war jedoch nur die spektakulärste Aktion eines allgemeinen Kampfes gegen die Litera tur. Verlage und Buchhandlungen erhielten Druckund Verkaufsverbote. Die Zensurbehörde der „Reichsschrift tumskammer“ kontrollierte im Jahr 1940 2500 Verleger, 23.000 Buchhandlungen, 20.000 Neuerscheinungen und über eine Million im Handel befindlicher Titel. „Schwarze Listen“ vermerkten die missliebigen Autoren und Au torinnen. Zur geistigen Bedrohung kam bald die existenzielle. In den Jahren nach der NSMachtübernahme flo hen mehr als 2000 Autorinnen und Autoren ins Exil, 1000 von ihnen bereits 1933. Österreichische Dichterinnen und Dichter emigrierten ab 1938 nach dem „Anschluss“ Österreichs. Zunächst waren europäische Länder das Fluchtziel. Mit dem Ausbruch des Krieges 1939 wurde Europa zu unsicher, neue Zielländer wurden die Staaten Nord und Südamerikas. „Damals hatten alle nur einen Wunsch: abfahren. Alle hatten nur eine einzige Furcht: zurückbleiben. Fort, nur fort aus diesem zusammengebrochenen Land, fort aus diesem zusammengebrochenen Der fokus Exil und innere Emigration „Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.“ Mit diesem Satz aus seiner Tragödie „Almansor“ (1821) ahnte Heinrich Heine schon früh die enge Verbindung von kultureller Zerstörung und Menschenvernichtung. Kurz nach der „Machtübernahme“ der Nationalsozia listen in Deutschland brannten im April und Mai 1933 die Bücher. Am Abend des 10. Mai 1933 versammelten sich 40.000 auf dem Berliner Opernplatz, um dort die von NSPropagandaminister Goebbels und NSStudenten organisierte Bücherverbrennung zu feiern. Ihr fielen Werke der größten Denker und Schriftsteller des 20. Jahr hunderts zum Opfer. Bereits ab dem Vormittag brachten LKWs Bücher, welche nationalsozialistische Studenten aus den Universitätsbibliotheken geplündert hatten, auf den Platz. Dort wurden die Bücher zu einem Scheiter haufen geschlichtet. Bei Einbruch der Dunkelheit begann die Verbrennung. Zehntausende begrölten jedes ver brannte Buch, Reden von Universitätslehrern versuchten die Zerstörung zu legitimieren. Im Zuge dieser Bücher verbrennungen, die nicht nur in Berlin, sondern in jeder größeren deutschen Stadt auf ähnliche Weise statt fanden, setzte eine Welle der Zerstörung des kulturellen Lebens ein. Bis 1938 wurden 12.400 Titel verboten, da runter das Gesamtwerk von 131 Autorinnen und Autoren unterschiedlichster Art, von Thomas und Heinrich Mann über Erich Maria Remarque, Alfred Döblin bis zu Bertolt Brecht, Sigmund Freud, Stefan Zweig, Anna Seg hers und Waldemar Bonsels, Erfinder der „Biene Maja“. Ein Protest gegen die Nicht-Verbrennung! Der NSkritische Dichter Oskar Maria Graf protestierte 1933 in einem offenen Brief dagegen, dass seine Bücher nicht verbrannt wurden: Ich habe […] mein Heim, meine Arbeit und – was am schlimmsten ist – die heimatliche Erde verlassen müssen, um dem Konzentrationslager zu entgehen. Die schönste Überraschung aber ist mir erst jetzt zuteil geworden: Laut „Berliner Börsencourier“ stehe ich auf der „weißen Autorenliste“ des neuen Deutschlands, und alle meine Bücher, mit Ausnah- me meines Hauptwerkes „Wir sind Gefangene“, werden empfohlen. […] Vergebens frage ich mich: Womit habe ich diese Schmach verdient? Das „Dritte Reich“ hat fast das ganze deutsche Schrift- tum von Bedeutung ausgestoßen, hat sich losgesagt von der wirklichen deutschen Dichtung, hat die größte Zahl seiner wesentlichsten Schriftsteller ins Exil gejagt und das Erscheinen ihrer Werke in Deutschland unmöglich gemacht. […] Und die Vertreter dieses barbarischen Nationalismus […] unterstehen sich, mich als einen ihrer „Geistigen“ zu beanspruchen, mich auf ihre so genannte „weiße Liste“ zu setzen, die vor dem Weltgewissen nur eine schwarze Liste sein kann! Diese Unehre habe ich nicht verdient! Nach meinem ganzen Leben und nach meinem ganzen Schreiben habe ich das Recht, zu verlangen, dass meine Bücher der reinen Flamme des Scheiterhaufens überantwortet werden und nicht in die blutigen Hände und die verdorbenen Hirne der braunen Mordbande gelangen. 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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