Literaturräume, Schulbuch

wurde oftmals leicht verwundet, aber er war nie länger als zweimal zwölf Stunden zu Hause. […] Er kannte seine zwei Kinder kaum, die sie ihm geboren hatte.“ Dann stirbt der Bischof von Trient. Das Domkapitel beendet die Fehde. Der Herr von Ketten hat gesiegt, er reitet nach Hause. 311 Der leseraum Da stach ihn, als er heimritt, eine Fliege. […] Als er am Morgen aufs Pferd steigen wollte, fiel er hin vor Schwäche. Arm und Schulter waren aufgequollen, er hatte sie in den Harnisch gepresst und musste sich wieder ausschnallen lassen; während er stand und es geschehen ließ, befiel ihn ein Schüttelfrost, wie er solchen noch nie gesehen; seine Muskeln zuckten und tanzten so, dass er die eine Hand nicht zur andern bringen konnte, und die halb aufgeschnallten Eisenteile klapperten wie eine losgerissene Dachrinne im Sturm. Er fühlte, dass das schwankhaft war, und lachte mit grimmigem Kopf über sein Geklapper; aber in den Beinen war er schwach wie ein Knabe. […] Dieses Fieber, wie eine weite brennende Grasfläche, dauerte Wochen. Der Kranke schmolz in seinem Feuer täglich mehr zusammen, aber auch die bösen Säfte schienen darin verzehrt und verdampft zu werden. Mehr wusste selbst der berühmte Arzt davon nicht zu sagen, und nur die Portugiesin brachte außerdem noch geheime Zeichen an Tür und Bett an. Als eines Tages vom Herrn von Ketten nicht mehr übrig war als eine Form voll weicher heißer Asche, sank plötzlich das Fieber um eine tiefe Stufe hinunter und glomm dort bloß noch sanft und ruhig. […] Dann kam der Tag, wo er mit einemmal wusste, dass es der letzte sein würde, wenn er nicht allen Willen zusammennahm, um leben zu bleiben, und das war der Tag, an dessen Abend das Fieber sank. Als er diese erste Stufe der Gesundung unter sich fühlte, ließ er sich täglich auf den kleinen grünen Fleck tragen, der die Felsnase überzog, die mauerlos in die Luft sprang. In seine Tücher gewickelt, lag er dort in der Sonne. Schlief, wachte, wusste nicht, was von beidem er tat. […] Als er wieder einmal dort erwachte, war der Jugendfreund da. Er stand neben der Portugiesin und war aus ihrer Heimat gekom- men; hier im Norden sah er ihr ähnlich. Er grüßte mit edlem Anstand und sprach Worte, die nach dem Ausdruck seiner Mienen voll großer Liebenswürdig- keit sein mussten, indes der Ketten wie ein Hund im Gras lag und sich schämte. Die Ungewissheit und die Katze Kettens Heilung lässt auf sich warten. Der Jugendfreund der Portugiesin bleibt als Gast auf der Burg, die Unge­ wissheit der Situation lastet auf Ketten, er versucht Hinweise auf das Verhältnis zwischen der Portugiesin und ihrem Jugendfreund zu entdecken. Man kann ja vieles nicht erklären, aber man trägt es nicht auf den Schultern und fühlt es nicht jedesmal, wenn man den Hals nach zwei Menschen wendet, die sprechen, während man zu schlafen scheint. Er hatte die fremde Sprache schon lange bis auf wenige Worte vergessen; aber einmal verstand er den Satz: „Du tust das nicht, was du willst, und tust das, was du nicht willst.“ Der Ton schien eher zu drängen als zu scherzen; was mochte er meinen? Ein andermal beugte er sich weit aus dem Fenster hinaus, ins Rauschen des Flusses; er tat das jetzt oft wie ein Spiel: der Lärm, so wirr wie durcheinandergefegtes Heu, schloss das Ohr und wenn man aus der Taubheit zurückkehrte, tauchte klein darin und fern das Gespräch der Frau mit dem Andern auf; und es war ein lebhaftes Gespräch, ihre Seelen schienen sich wohl miteinander zu fühlen. Das drittemal lief er überhaupt nur den beiden nach, die abends in den Hof gingen; wenn sie an der Fackel oben auf der Freitreppe vorbeikamen, musste ihr Schatten auf die Baumkronen fallen; er beugte sich rasch vor, als dies geschah, aber in den Blättern verschwammen die Schatten von selbst in einen. […] Eines Tags als sie in Gesellschaft den Berg heraufkamen, war oben vor dem Tor die kleine Katze. […] Sie wurde eingelassen, aber es war gleich, als ob man einen Gast empfinge, und schon am nächsten Tage zeigte sich, dass man vielleicht ein kleines Kind aufgenommen hatte, aber nicht bloß eine Katze: solche Ansprüche stellte das zierliche Tier, das […] keinen Augenblick aus der „Drei Männer“ INFO Musils „Drei Frauen“ bot die Anregung für die Novelle „Drei Männer“ von Walter Grond (2004). Trotz des Titels ist eine Frau, eine von drei Männern um­ schwärmte altöster­ reichische Gräfin, die Hauptfigur. Sie lebte kurz vor dem Ersten Weltkrieg im könig­ lichen Harem in Kairo, beeindruckte in den 20erJahren in den literarischen Salons von Berlin und Wien und verbrachte das Alter mit einem jugendlichen Liebhaber in Graz. 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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