Literaturräume, Schulbuch
… und Prophetie „Feuer“, „Masse“ und „Macht“ sind drei Hauptmotive im Werk des 1981 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichne ten Romanciers, Essayisten und Dramatikers Elias Canetti (1905–94). In seinem Roman „Die Blendung“ (1935) be richtet Canetti vom Kampf des Gelehrten Dr. Peter Kien gegen die auf ihn hereinbrechende Welt der Großstadt und der Masse. Sie dringt in die Welt Kiens in Gestalt sei ner Haushälterin Therese ein. Mit Hilfe eines Tricks er schleicht sie sein Vertrauen: Nur mit den Fingerspitzen, um es ja nicht zu beschmutzen, nimmt sie das schlechteste Buch entgegen, das Kien ihr aus seiner riesigen Privatbibli othek leihen will. Kien ist begeistert, heiratet sie. Ab die sem Augenblick setzt Therese alles daran, Kien aus der Bi bliothek zu vertreiben. Kien weiß nur mehr einen Ausweg, er legt Feuer, das ihn und seine Bibliothek vernichtet: „Als ihn die Flammen endlich erreichen, lacht er so laut, wie er in seinem ganzen Leben nie gelacht hat.“ Im Schicksal Kiens sah die Literaturkritik eine „mächtige Metapher für den Untergang des zivilisierten Europa“ . Nur vier Jahre nach der Veröffentlichung des Romans brach der Zweite Welt krieg aus. Die literarische Vision Canettis erwies sich als bittere Prophetie. In „Masse und Macht“ geht Canetti den zerstörerischen Eigenschaften der Masse auf den Grund (9) . Der leseraum 1 „Es gibt wieder Verse, bei denen auch der literarisch unverdorbene Mensch Herzklopfen kriegt.“ Erich Kästner: „Primaner in Uniform“ (1929), „Klassenzusammenkunft“ (1928) Nicht nur ein Kinderbuchautor Erich Kästners Romane wie „Emil und die Detektive“, „Pünktchen und Anton“, „Das doppelte Lottchen“ oder „Das fliegende Klassenzimmer“ gehören zu den Klassikern der Jugendliteratur. Doch Kästners literarisches Schaf fen umfasst auch zeitkritische Romane und Gedichte. In seinem Roman „Fabian“ (1931) zum Beispiel warnt Kästner mit Sarkasmus, Witz, Satire und Bitterkeit vor dem drohenden Verhängnis des Nationalsozialismus. Die gleichnamige Hauptfigur des Romans versucht, ein „Nichtschwimmer“ zu bleiben, das heißt, sich nicht im Strom einer totalitären politischen Richtung von rechts oder links mittreiben zu lassen. Das Ende bleibt offen: Fabian, der auch in der Realität ein Nichtschwimmer ist, ertrinkt beim Versuch, einen Jungen aus einem Fluss zu retten: „Der kleine Junge schwamm heulend ans Ufer. Fabian er- trank. Er konnte leider nicht schwimmen.“ Kästners lyrisches Programm „Es ist kaum glaublich, und doch ist es so: Die Mehrzahl der Lyriker singt […] noch immer von der ‚Herzliebsten mein‘ und von dem ‚Blümlein auf der Wiesen‘ und behauptet anschließend, von der Muse mitten auf den Mund geküsst worden zu sein.“ So polemisch formuliert Kästner seine At tacke gegen sentimentale Gedichte. Seine Forderung an die Lyrik: Verse, die das Publikum lesen und hören kann, 299 DIe lIteraturübersIcht | Der leseraum Erich Kästner Ein nicht unumstrittener Romanautor der Zeit: Hermann Hesse INFO Die kritischen Fragen an die geltenden Werte führten in den 60erJahren vor allem bei jungen Lesern/Leserinnen zur Wiederentdeckung von Hermann Hesse (1877–1962), dessen Hauptwerke wie „Der Steppenwolf“ (1927), „Siddharta“ (1922) und „Das Glasperlenspiel“ (1943) alle schon vor dem oder im Zweiten Weltkrieg entstanden. Über die Qualität von Hesses Büchern gehen die Meinungen auseinander. Die Rezeption seiner Werke vollzieht sich wie eine Wellenbewegung. Einem Tiefpunkt in den 50erJahren folgte unter den Jugendlichen, ausgehend von den USA, im Jahrzehnt darauf eine „HesseManie“. Vor allem „Der Steppenwolf“ wurde zum Verkaufsschlager und machte Hesse zu einem der meistgelesenen deutschen Autoren. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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