Literaturräume, Schulbuch
288 eXpressIonIsmus unD DaDaIsmus (1910–1920/1925) Drei Beispiele Mit dem nur aus Länge und Kürzezeichen bestehenden Gedicht „Fisches Nachtgesang“ erinnert Morgenstern an die visuellen Gedichte des Barock – siehe S. 78 f., radikalisiert sie aber bis zum Verstummen. „Keine Silbe zu wenig und keine Silbe zuviel“ , so lobt der Lyriker Hans Magnus Enzensberger ironischhochachtend dieses Ge dicht. „Das große Lalulā“ nimmt deutlich die Lautgedichte des Dadaismus vorweg. Sprachlich konventionellere Gedichte wie „Das Huhn“ drücken symbolisch Sympathie aus für die im Schwung der technischen Entwicklung Gefährdeten und Übersehenen. Das große Lalulā Kroklokwafzi? Sem‒ emem‒ i! Seiokrontro – prafriplo: Bifzi, bafzi; hulalem‒ i: quasti basti bo … Lalu lalu lalu lalu la! Hontraruru miromente zasku zes rü rü? Entepente, leiolente klekwapufzi lü? Lalu lalu lalu lalu la! Simarar kos malzipempu silzuzankunkrei (;)! Marj omar dos: Quempu Lempu Siri Suri Sei []! Lalu lalu lalu lalu la! Das Huhn In der Bahnhofhalle, nicht für es gebaut, geht ein Huhn hin und her ... Wo, wo ist der Herr Stationsvorsteh’r? Wird dem Huhn man nichts tun? Hoffen wir es! Sagen wir es laut: dass ihm unsre Sympathie gehört, selbst an dieser Stätte, wo es – „stört“! Fisches Nachtgesang – O O – – – O O O O – – – O O O O – – – O O O O – – – O O O O – – – O O 2 4 6 8 10 12 14 2 4 6 8 Die Wiener Gruppe Ende der 50erJahre des 20. Jahrhunderts tritt in der österreichischen Literatur eine Gruppe von Dichtern und Dichterinnen auf, die zunächst auf massiven Widerstand der Öffentlichkeit stößt. Friedrich Achleitner, H. C. Artmann, Konrad Bayer, Gerhard Rühm, Oswald Wiener und die der Gruppe nahe stehenden Ernst Jandl und Friederike May röcker provozieren. Wörter und Sätze wer den zerlegt und vertauscht, die gramma tischen, orthographischen und syntaktischen Normen der Sprache werden zerstört. Abso lut „unpoetische“ Vokabel der Alltags bis Fäkalsprache finden Eingang in die Dich tung, man schreibt radikal klein, um die Nomen nicht zu bevorzugen. Die Einbezie hung akustischer und graphischer Elemente der Sprache in die Dichtung verblüfft genau so wie die Entdeckung des Dialekts für die Lyrik, die sich vor allem in dem später zum Lyrikbestseller gewordenen Werk H. C. Art manns „med ana schwoazzn tintn“ zeigt. INFO Formen der experimentellen Dichtung Die Sprachexperimente der modernen Lyrik können sich in folgenden Formen zeigen: Visuelle Formen Ideogramm: Gebilde aus Buchstaben und Wörtern, die so kombiniert werden, dass die Bedeutung auch visuell ausgedrückt wird. Piktogramm: eine vorgezeichnete Figur wird mit Sprache aufgefüllt (vgl. dazu auch den LiteraturräumeFokus Barock). Akustische Formen Lautgedicht und Buchstabengedicht , das auf die rein akustische Wirkung der Sprache setzt. Dialektgedicht : setzt auf die Verblüffung ungewohnter Laute, Worte und Wortgestalten und verbindet visuelle und akustische Elemente. Konstellationen und Permutationen Einzelwörter oder kurze Wortgruppen werden unteroder nebeneinander gesetzt und ergeben in ihrer Kombination verschiedene Bedeutungen und Gedankenbeziehungen. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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