Literaturräume, Schulbuch

286 eXpressIonIsmus unD DaDaIsmus (1910–1920/1925) „Mönchin“, „Jünglingin“, „zitternde Geschwister“ In Trakls Werk gibt es Metaphern und Bilder, die zunächst besonders schwer aufzulösen scheinen. Von „Mön- chin“, „Jünglingin“ ist zu lesen, das Gedicht „Traum des Bösen“ endet mit den Zeilen „Aussätzige, die zur Nacht vielleicht verwesen. / Im Park erblicken zitternd sich Geschwister.“ Im Gedichtzyklus „Siebengesang des Todes“ gibt es die Verse „Ein strahlender Jüngling / Erscheint die Schwester in Herbst und schwarzer Verwesung.“ Im Gedicht „An die Schwester“ erscheint diese als „Karfreitags- kind“. Im Gedicht „Nachtergebung“ ergeht die Auffor­ derung „Mönchin! Schließ mich in dein Dunkel“. Zwei Stellen aus „Traum und Umnachtung“ lauten so: [I]n dunklen Zimmern versteinerte das Antlitz der Mutter und auf dem Knaben lastete der Fluch des entarteten Geschlechts. Manchmal erinnerte er sich seiner Kindheit, erfüllt von Krankheit, Schrecken und Finsternis, verschwiegener Spiele im Sternengar- ten, oder dass er die Ratten fütterte im dämmernden Hof. Aus blauem Spiegel trat die schmale Gestalt der Schwester und er stürzte wie tot ins Dunkel. […] Weh, der unsäglichen Schuld, die jenes kundtut. Aber da er Glühendes sinnend den herbstlichen Fluss hinabging unter kahlen Bäumen hin, erschien in härenem Mantel ihm, ein flammender Dämon, die Schwester. Beim Erwachen erloschen zu ihren Häuptern die Sterne. O des verfluchten Geschlechts. Wenn in befleckten Zimmern jegliches Schicksal vollendet ist, tritt mit modernden Schritten der Tod in das Haus. Natürlich reicht Dichtung, die Qualität hat, über die privaten Erfahrungen des Autors/der Autorin hinaus. Aller­ dings spielen die biographischen Elemente manchmal eine besondere Rolle und tragen zum Verstehen bei. Erin­ nern Sie sich dabei zum Beispiel an Goethes „Werther“ oder auch an Kafka. Nicht um billige „Schlüssellochper­ spektive“ geht es dabei, sondern um „Schlüssel“ zum Verständnis. Für Trakls von Schuldgefühlen geprägte Ge­ dichte ist die Inzestbeziehung zu seiner Schwester als biographisches Faktum von hoher Bedeutung. Dieses Fak­ tum erklärt auch die große Anzahl von damit in Zusammenhang stehenden Bildern und Metaphern, die ohne dieses Wissen nicht auflösbar wären. INFO Trakl: Leben und Dichtung Georg Trakl (1887–1914) wird in Salzburg geboren. Zu seinem Vater hat er eine gute Beziehung. Seine Mutter zieht sich in ihr Zimmer zurück, das die Kinder nicht betreten dürfen. Sie nimmt Drogen und prägt auf diese Weise Trakl und seine Schwester Grete, die beide später süchtig werden. Von der Mutter im Stich gelassen, sucht er das Mütterliche bei Dirnen. Zwischen Trakl und seiner Schwester entsteht eine inzestuöse Beziehung. Er verlässt das Gymnasium ohne Abschluss und wird Apothekerlehrling, wohl auch, um leichter an Drogen heranzukommen. 1908 beginnt er in Wien das Pharmaziestudium und lernt Werke der französischen Symbolisten Baudelaire und Rimbaud kennen. 1913 spricht er von einer „Kette von Krankheit und Verzweiflung“. Seelisch zerrüttet, rückt er 1914 als Sanitäter ein, kommt an die Ostfront, macht dort die Schlacht von Grodek mit. Er muss 90 Schwerverwundete versorgen und erleidet einen Nervenzusammenbruch, dem ein Selbstmordversuch folgt. Im November stirbt er in einem Krakauer Spital an einer Überdosis Kokain. Grete TraklLangen nimmt sich 1917 das Leben. 2 4 6 8 10 12 14 16 AUFGABEN > Welche formale Eigenheit bestimmt die erste Strophe? Welche Jahreszeit wird beschrieben? Welchen Eindruck von dieser Jahreszeit vermitteln die von Trakl gewählten Bilder der ersten Strophe? Mit welchen „positiven“ Bildern könnte man diese Jahreszeit beschreiben? > Welchen Kontrast zur ersten Strophe bilden die Verse 5 bis 8? Beachten Sie die in Trakls Lyrik besonders zahlreichen attributiv gebrauchten (Farb)Adjektiva! Welchen Symbolwert ordnen Sie den Adjektiven des Gedichts wie „schwarz“, „braun“, „leer“, „sanft“, „rund“, „goldig“, „süß“, „finster“, „kalt“, „kristallen“ zu? > Welches Schicksal erleidet die geheimnisvolle „sanfte Waise“ , welche Stimmung bricht damit wieder herein? > Denkbar wäre es, das Gedicht nach der dritten Strophe enden zu lassen. Doch Trakl setzt den Text fort, indem er ein lyrisches Ich – sich selbst – einführt. Mit welcher Metapher beschreibt sich das Ich der vierten Strophe? Welche Beziehung zwischen Mensch und Gott besteht? > Beschreiben Sie die Stimmung, welche durch die Bilder der letzten Strophen entsteht! Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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