Literaturräume, Schulbuch
270 eXpressIonIsmus unD DaDaIsmus (1910–1920/1925) Das Drama: Der neue Mensch tritt auf Empörung, Pathos und Appell lassen sich nicht nur in der Lyrik, sondern auch auf der Bühne besonders gut demonstrieren. Das Drama ist deshalb die zweite große Leistung der Expressionisten. Der Kampf des „neuen“ Menschen gegen den „alten“ ist das be herrschende Thema. Oft wird diese Kontroverse am Beispiel des Generationskonfliktes vorgeführt. Der Kampf der Söhne gegen die Väter wurde von den expressionistischen Dichtern auch persön lich empfunden. „Ich wäre einer der größten Dichter geworden, wenn ich nicht einen solchen schweinernen Vater gehabt hätte“ , schreibt Georg Heym 1911. Die Söhne sehen sich als Weltverän derer gegen das tyrannische Alte. Elternmord, Vatermord werden als Symbol für den Untergang der Autoritäten gefeiert. Auch der Konflikt der Geschlechter ist ein Thema. In Oskar Kokoschkas Dra ma „Mörder, Hoffnung der Frauen“ (1907–17 in mehreren Fas sungen erschienen) wird der Gegensatz zwischen Mann und Frau zum Symbol für das sich in Gegensätzen manifestierende Leben. Den Dramenaufbau bestimmen lockere Einzelszenen und Stati onen aus der Entwicklung der Hauptfiguren. Die Erneuerung des Menschen, der durch sein Beispiel auch die anderen verändert, zeigt das Drama „Die Bürger von Calais“ von Georg Kaiser (1878– 1945) (4) . Die Epik des Expressionismus und Franz Kafka Die epische Dichtung ist nicht die stärkste Leistung des Expres sionismus. Pathos, Enthusiasmus, Zertrümmerung der Sprache las sen sich in Romanen und Erzählungen am wenigsten durchhalten. Ein Epiker aus dieser Zeit hat allerdings Weltgeltung erreicht, näm lich Franz Kafka (1883–1924). Er entzieht sich jedoch jeder Einordnung in eine bestimmte literarische Strö mung. Kafka wird hier deshalb mit dem Expressionismus zusammen vorgestellt, weil einige seiner Werke zeit gleich dazu entstanden sind. Seine Erzählungen wie „Das Urteil“ (1912), „Die Verwandlung“ (1912–15), „In der Strafkolonie“ (1914), die Romane „Amerika“ (begonnen 1912), „Der Prozess“ (1914/15) und „Das Schloss“ (1922), seine Parabeln wie „Eine alltägliche Verwirrung“ berichten von der Fremdheit des Menschen in einer Welt, die er nicht mehr versteht und die ihm nur mehr als Labyrinth erscheint. Ein Schlüssel zu Kafkas Werk ist sein „Brief an den Vater“ (5) . Der Einzelne ist nur mehr ein Ausgelieferter, sei es an persönliche Institutionen, wie Vater oder Familie, sei es an gesellschaftliche Mächte, wie Justiz und Bürokratie, oder an die moderne Maschine. Das Adjektiv „kafkaesk“ als Bezeichnung für eine absurde albtraumhafte Situation wird inzwischen schon in der Um gangssprache verwendet. Die Rettung des Großteils von Kafkas Werken verdanken wir seinem Freund Max Brod, der Kafkas testamentarischem Auftrag, seine Schriften zu verbrennen, nicht nachkam. Dadaismus: Die Kunst der Anti-Kunst Im Jahr 1916 treffen sich in Zürich die deutschen Literaten Richard Huelsenbeck und Hugo Ball, der Elsässer Hans Arp und der Rumäne Tristan Zara in einer Kneipe, dem Cabaret Voltaire. Zürich hat eine alte Tradition als Zu fluchtsort für politische Emigranten. Sie blättern in einem deutschfranzösischen Wörterbuch und finden per Zufall das Wort „dada“. Es bedeutet auf Französisch Steckenpferd oder auch Hobby, im Rumänischen ja, ja und gilt im Deutschen als harmloses Kinderlallwort. „Dada“ scheint ihnen der perfekte Begriff für ihre eigene Kunst. Sie ist „AntiKunst“, gerichtet gegen jede bisherige Kunst, auch gegen die Expressionisten. Für deren Hoffnung, dass Kunst und Literatur gegen Krieg und Politik wirken könnten, haben sie nur Hohn übrig. Fast „selbstver ständlich“ ist eine ihrer Zielscheiben Goethe. Eine der dadaistischen Losungen: „Wir werden Weimar in die Luft sprengen.“ Das „Dadaistische Manifest“, geschrieben 1918 in Berlin, dem späteren Zentrum des Dadaismus, fasst ihr Programm zusammen: INFO Ein wichtiges Vorbild für das Theater des Expressionismus ist das Drama „Frühlings Erwachen“ von Frank Wedekind. Das Werk entstand 1891, wurde aufgrund der Zensur jedoch erst 1906 aufgeführt, allerdings mit großen Abstrichen. Endgültig freigegeben wurde das Stück erst 1912. Die „Kindertragödie“, so der Untertitel, schildert das Schicksal von zwei Jungen und einem Mädchen in der Pubertät, die von der sexuellen Heuchlerei der Erwachsenen in den Tod getrieben werden. Nicht nur die Mutter, welche die Schwangerschaft des Mädchens als „Bleichsucht“ ausgibt und eine Abtreibung veranlasst, an der das Mädchen stirbt, wird von Wedekind angegriffen, sondern auch die Schule. Sie verweist einen intelligenten Schüler von der Anstalt, weil er für einen Freund eine Aufklärungsschrift verfasst hat. Die Namen, die Wedekind dem Direktor und den Lehrern gibt, sind aufschlussreich: Sonnenstich, Affenschmalz, Knüppeldick, Hungergurt, Knochenbruch, Zungen schlag und Fliegentod. Sie erregten bei der Zensur Anstoß und mussten für die erste Aufführung geändert werden in: Sanftleben, Lindemann, Friedepohl, Schweighofer, Wunderhold, Morgenroth und Ehrsam. Nur zu Prüfzweck n – Eigentum des Verlags öbv
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=