Literaturräume, Schulbuch

254 symbolIsmus, ImpressIonIsmus, fIn De sIècle, WIener moDerne […] – Beim Regiment – kein Mensch hätt’ eine Ahnung, warum ich’s getan hab’ … sie täten sich alle den Kopf zerbrechen … warum hat sich denn der Gustl umgebracht? – Darauf möcht’ keiner kom- men, dass ich mich hab’ totschießen müssen, weil ein elender Bäckermeister, so ein niederträchtiger, der zufällig stärkere Fäust’ hat … es ist ja zu dumm, zu dumm! – Deswegen soll ein Kerl wie ich, so ein junger, fescher Mensch … Ja, nachher möchten’s gewiss alle sagen: das hätt’ er doch nicht tun müssen, wegen so einer Dummheit; ist doch schad’! … […] So ein Kerl wie ich, der dasteht und sich einen dummen Buben heißen lässt … morgen wissen’s ja alle Leut’ … das ist zu dumm, dass ich mir einen Moment einbilde, so ein Mensch erzählt’s nicht weiter … überall wird er’s erzählen … seine Frau weiß’s jetzt schon … morgen weiß es das ganze Kaffeehaus … die Kellner werd’n’s wissen … der Herr Schlesinger – die Kassierin – – Und selbst, wenn er sich vorgenommen hat, er red’t nicht davon, so sagt er’s übermorgen … und wenn er’s übermor- gen nicht sagt, in einer Woche … Und wenn ihn heut’ Nacht der Schlag trifft, so weiß ich’s … ich weiß es … und ich bin nicht der Mensch, der weiter den Rock trägt und den Säbel, wenn ein solcher Schimpf auf ihm sitzt! … So, ich muss es tun, und Schluss! – Was ist weiter dabei? 88 90 92 94 96 98 100 102 104 106 108 110 112 Das Ende Den Rest der Nacht lässt sich der Leutnant durch Wien treiben, immer damit beschäftigt, sich zu rechtfertigen, Auswege zu erdenken und wieder zu verwerfen – wie z. B. nach Amerika zu gehen –, sich die Reaktionen seiner Angehörigen vorzustellen, seinen Neid auf die Zivilisten, Juden, Akademiker zu artikulieren. Schließlich schläft er im Prater auf einer Bank ein, wacht in der Früh auf, geht in sein Stammcafé, da er vor dem Selbstmord Abschieds­ briefe schreiben und ordentlich frühstücken möchte, und erfährt dabei vom Ober Folgendes: „Haben Herr Leutnant schon gehört?“ … „Was denn?“ Ja, um Gotteswillen, weiß der schon was? … Aber, Unsinn, es ist ja nicht möglich! „Den Herrn Habetswallner …“ Was? So heißt ja der Bäckermeister … was wird der jetzt sagen? … Ist der am End’ schon dagewesen? Ist er am End’ gestern schon dagewesen und hat’s erzählt? …Warum red’t er denn nicht weiter? … Aber er red’t ja … „… hat heut’ nacht um zwölf der Schlag getroffen.“ „Was?“… Ich darf nicht so schreien … nein, ich darf mir nichts anmerken lassen … aber vielleicht träum’ ich … ich muss ihn noch einmal fragen … „Wen hat der Schlag getroffen?“ – Famos, famos! – Ganz harmlos hab’ ich das gesagt! – „Den Bäckermeister, Herr Leutnant! … Herr Leutnant werd’n ihn ja kennen … na, den Dicken, der jeden Nachmittag neben die Herren Offiziere seine Tarockpartie hat … […] Um Himmelswillen, ich darf mich nicht verraten … ich möcht’ ja schreien … ich möcht’ ja lachen … ich möcht’ ja dem Rudolf ein Bussel geben … Aber ich muss ihn noch was fragen! … Vom Schlag getroffen werden, heißt noch nicht: tot sein … ich muss fragen, ob er tot ist … aber ganz ruhig, denn was geht mich der Bäckermeister an – ich muss in die Zeitung schau’n, während ich den Kellner frag’ … „Ist er tot?“ „Na, freilich, Herr Leutnant; auf ’m Fleck ist er tot geblieben.“ O, herrlich, herrlich! – Am End’ ist das alles, weil ich in der Kirchen g’wesen bin … „Er ist am Abend im Theater g’wesen; auf der Stiegen ist er umg’fallen – der Hausmeister hat den Krach gehört … na, und dann haben s’ ihn in die Wohnung getragen, und wie der Doktor gekommen ist, war’s schon lang’ aus.“ „Ist aber traurig. Er war doch noch in den besten Jahren.“ – Das hab’ ich jetzt famos gesagt – kein Mensch könnt’ mir was anmerken … und ich muss 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 AUFGABEN > Analysieren Sie die psychische Situation des Leutnants, indem Sie folgende Aspekte bestimmen: – Gustls Gedanken an Auswege und die Zwänge zum Selbstmord, denen er sich ausgeliefert glaubt; – sein Selbstmitleid und seine Wünsche, alles wäre anders gekommen; – die verschiedenen zeitlichen Ebenen seiner Assoziationen (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft). > Bestimmen Sie die sprachlichen Charakteristika des inneren Monologs: Satzbau (Dominanz der Haupt­ sätze, Gliedsätze?), rhetorische Fragen, Wiederholungen von Satzbaumustern, Sprachebenen (Mundart, Umgangssprache, Zeichensetzung)! > Schreiben Sie den inneren Monolog des Bäckermeisters Habetswallner nach Verlassen des Konzertes! Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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