Literaturräume, Schulbuch

symbolIsmus, ImpressIonIsmus, fIn De sIècle, WIener moDerne 248 Nietzsche: „Die Kunst, nichts als die Kunst!“ Können Religion, Moral, Ethik, Philosophie, Wissenschaft dem Leben Sinn geben? Nietzsche verneint das ent­ schieden. Dem „Durchschnittsmenschen“ mögen sie vielleicht so etwas wie Orientierung liefern. Aber dieser „Durchschnittsmensch“ ist für Nietzsche ein Wesen, das in seiner geistlosen Behaglichkeit bloß dahinvegetiert. Der aus der Masse herausragende „Übermensch“ hat nur ein Mittel, den „Durchschnittsmenschen“ in sich zu überwinden und der Geistlosigkeit zu entkommen: die Kunst. Sie gibt die Freude am Leben: „Die Kunst und nichts als die Kunst! Sie ist die große Ermöglicherin des Lebens, die große Verführerin zum Leben, das große Sti- mulans des Lebens!“ Unmittelbare Zwecke, besonders religiöser, politischer oder moralischer Art, darf solche Kunst nicht haben. An moralische Maßstäbe muss sie sich nicht halten. Die Kunst ist nur für die Kunst da: L’art pour l’art. In der Kunst gehe es um den „Kampf […] gegen ihre Unterordnung unter die Moral. L’art pour l’art heißt: ‚der Teufel hole die Moral!‘“ Symbol für diese nicht an Moralvorschriften gebundene Diesseitsfreude ist für Nietzsche der ekstatische griechische Weingott Dionysos. Baudelaire: Was Kunst ist, ist nicht Natur, was Natur ist, ist keine Kunst Für den französischen Dichter Charles Baudelaire ist Kultur das Resultat von Planung, Kreativität, also ein „Sieg“ über die ursprüngliche Natur. Das gilt auch für die Literatur. Sie bedeutet deshalb Ferne zur Natur, nicht die Annäherung an sie, indem man sie nachahmt. Die Literatur muss ihre eigene Wirklichkeit schaffen, und zwar durch die Sprache. Baudelaire holt sich die Eingebungen zum Schreiben auch mit Hilfe der Inspiration im Alkoholund Drogenrausch. „Die künstlichen Paradiese“ heißt eine seiner Gedichtsammlungen. Der „Stoff“, das „Thema“, der „Inhalt“ eines litera­ rischen Textes sind nicht von Bedeutung, denn Dichtungen setzten sich aus Worten zusammen, nicht aus Ideen. So soll eine reine, von allen Zwe­ cken befreite Poesie entstehen, die „poésie pure“ . Diese Kunstanschauung prägt auch das Werk von Arthur Rimbaud, Paul Verlaine und Stéphane Mallarmé, weiteren Anregern für die Literatur des Fin de Siècle. Mach: Das Ich ist nichts als eine Verbindung von Empfindungen Vermutlich ist Ihnen Ernst Mach eher aus der Physik als in Zusammenhang mit der Literatur bekannt: „M“ – „1 Mach“ – ist schließlich die Zahl für die Schallgeschwindigkeit. Für die Dichter der Wiener Moderne galt Mach aber vor allem als Philosoph des Impressionismus schlechthin. Mach bestimmt die Dinge der Realität als Kom­ plex aus „Farben, Tönen, Wärmen, Drücken, Räumen“ , die ständig wechseln: „Mein Tisch ist bald heller, bald dunkler beleuchtet, kann wärmer oder kälter sein. Er kann einen Tintenfleck erhalten. Ein Fuß kann brechen. Er kann repariert, poliert, Teil für Teil ersetzt werden. […] Mein Freund kann einen anderen Rock anziehen. Sein Gesicht kann ernst und heiter werden. Seine Gesichtsfarbe kann durch Beleuchtung oder Affekte sich ändern.“ Auch für unsere Persönlichkeit gilt diese ständige Änderung. Wir sind ein Bündel aus wechselnden Empfin­ dungen, Wahrnehmungen, Einflüssen. Dass wir unser Ich für konstant halten, liegt nur in der Langsamkeit der Änderung. Unsere Person ist ein „Komplex von Erinnerungen, Stimmungen, Gefühlen, welcher als Ich bezeichnet wird. Ich kann mit diesem oder jenem Ding beschäftigt, ruhig und heiter oder aufgebracht und verstimmt sein. Die scheinbare Beständigkeit des Ich besteht vorzüglich nur […] in der langsamen Änderung.“ Besonders auf die Literatur von Hugo von Hofmannsthal und Peter Altenberg wirken sich Machs Ideen unmittelbar aus. INFO Oscar Wilde: Ästhetizismus pur Schönheit zu erleben, ist das Höchste, was der Mensch erreichen kann. Viel wichtiger, als unsere Empfindungen für Recht und Unrecht zu schärfen, ist es, unsere Fähigkeiten zum Genuss der Schönheit zu verfeinern. Das ist Oscar Wildes extreme Ausprä­ gung von Ästhetizismus, der auch auf die Wiener Moderne wirkt. Im Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“ gibt Wilde demÄsthetizismus provokanten Ausdruck. AUFGABE > Schreiben Sie einen Text über die vielen Veränderungen Ihres Ich während einer Schulstunde, eines Tages, der Busfahrt, des Nachmittags im Café …! Nehmen Sie als Schreibanregung eventuell den Beginn von Peter Handke: „Veränderungen im Lauf des Tages“ (1969): „Solange ich noch allein bin, bin ich noch allein. Solange ich noch unter Bekannten bin, bin ich noch ein Bekannter. Sobald ich aber unter Unbekannte komme – Sobald ich auf die Straße trete – tritt ein Fußgänger auf die Straße. Sobald ich in die Straßen- bahn einsteige – steigt ein Fahrgast in die Straßenbahn. […]“ Nur zu Prüfzweck n – Eigentum des Verlags öbv

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