Literaturräume, Schulbuch
243 Der fokus | grenzenlos Gedanken nicht ertragen, drei Mark dem Buch- händler zugewendet zu haben, die er dem Bierbrauer hätte entziehen müssen. Der Kapitalist wendet sein Vermögen nur an, um sich feinere Weinsorten zu verschaffen, um höhere Spieleinsätze zu machen. Der deutsche Adel geht auf in Pferdezucht und Hundedressur. Er veredelt die Tierrassen, aber seine eigne Rasse degeneriert immer mehr. […] Die Regierung hat für die Kunst kaum einen Bettelpfen- nig. Vom Minister bis zum Droschkenkutscher haben in Deutschland nicht tausend Menschen Verlangen, Liebe, Verständnis für die Kunst. Unsere feile, bestochene Presse unterdrückt die echte Kunst, wo sie kann, […]. Wir verlangen, dass die Kunst überall, bei allen öffentlichen und höfischen Akten in gleicher Weise vertreten sei wie alle anderen Gebiete menschlicher Tätigkeit, die Wissenschaft, die Religion, die Verwaltung, das Heerwesen, und dass sie […] eine ihrer kulturellen Bedeutung angemessene Stellung angewiesen erhalte […]. Und es kann dem Staate keineswegs gleichgültig sein, wie seine Bürger ihre Abende zubringen, ob ihr Gemüt durch den Besuch unanständiger Pantomimen, frecher Tingeltangel mit geschlechtskranken Künstlerinnen, roher Tierhetzen, frivoler, die Unsittlichkeit verherrlichender Pariser Schauspiele systematisch verroht, verflacht, verseucht oder in ernsten und gewaltigen, aus dem reinen Leben geschöpften Schauspielen zu einer tieferen […] Auffassung des Daseins geführt wird. grenzenlos Die Faszination von Schmerz, Trauer, Unglück in der Literatur Gibt es in der Literatur nur „Liebe“ und „Tod“? Blättern Sie in den „Literaturräumen“ nach dem Zufallsprinzip zurück. Sei es in der Literatur des Mittelalters, in den „FaustFenstern“, in Renaissance, Barock, Aufklärung, Sturm und Drang, überall sind Sie tragischen und trau rigen Themen begegnet, und zwar in viel höherem Ausmaß als amüsanten oder lustigen. Auch im Naturalismus gaben diese Themen den Ton an. Ähnlich wird es sein, wenn Sie sich den kommenden literarischen Epochen bis zur Gegenwart widmen werden. Der deutsche „Kritikerpapst“ Marcel ReichRanicki betont überhaupt, dass sich die Literatur eigentlich nur um zwei Themen drehe, um Liebe und Tod. Tragische Themen: geschätzt seit Beginn der Literatur Seit ihren Ursprüngen zeigt die Dichtung Vorliebe für Trauriges, Scheitern, Düsteres und Unlösbares. Dies gilt für das erste Epos der Menschheit, das GilgameschEpos aus dem 3. Jahrtausend v. Chr., genauso wie für die Epen Homers und die ersten dramatischen Werke. In der griechischen Antike wurde der Tragödie ein viel höherer Rang zuerkannt als der Komödie. Das Scheitern ist meist packender als das Gelingen Ohne Zweifel ist es bedrückend, wenn ein Held/eine Heldin scheitert. Vor dem Scheitern herrschen Furcht, Rat losigkeit, Ungewissheit, danach Schmerz, Enttäuschung, Trauer. Und dennoch werden die Leser/Leserinnen oder Zuschauer/Zuschauerinnen von Furcht, Schmerz, Trauer mehr gepackt, als wenn ein erhofftes Gelingen wirklich eintritt. Denken Sie dabei an sich: Ein Kinooder Fernsehfilm, ein Theaterstück oder ein Roman/eine Erzählung mit tragischem Ausgang beeindrucken Sie in der Regel mehr als eine HappyendGeschichte. Wo liegt der Grund für diesen Unterschied? Die Wissenschaft der Ästhetik hat sich mit den Gründen befasst, weshalb manche Wahrnehmungen von uns als beeindruckender empfunden werden als andere. 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 AUFGABEN > Was verlangt der Kaiser von der Kunst? Welche Aufgabe soll die Kunst für die „unteren Stände“ erfüllen? Welche nationalen Klischees und Vorurteile über andere Völker enthält der Text? > Der zweite Text enthält im Vergleich zu Text 1 spiegelbildlich verkehrte Vorurteile. Gegen wen richtet Alberti diese pauschale Voreingenommenheit im Einzelnen? > Welche Forderungen erhebt Alberti? Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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