Literaturräume, Schulbuch

23 Der leseraum Einmal lag er mittags wie oft in ihren Armen. […] Sie dachte, dass er schliefe, seufzte tief und sah ihn nahe an und sprach: „Armer Mann, wehe dir und wehe mir unglücklicher Frau, dass ich so manche Schmährede hören muss.“ Doch Erec hatte ihre Worte gehört. […] Und als er vernahm, wovon die Rede war, sprach er: „Es ist genug.“ Er ließ sie aufstehen, ankleiden und befahl seinem Knappen das Pferd zu satteln. Hartmanns „Der arme Heinrich“ als Klassenlektüre: eine Erzählung von Glück und Unglück mit einer verblüffenden Wendung Hartmann präsentiert den Helden seiner Erzählung auf sehr enthusiastische Weise. Heinrich verkörpert das Ideal adeliger Bildung, sein Lebenswandel ist ohne Makel. Inmitten seiner persönlichen und gesellschaft­ lichen Vollkommenheit befällt Heinrich plötzlich der Aussatz, die Lepra: „ihn ergreif diu miselsuht“ . Sein Vergehen: Er hatte vergessen, dass Ansehen und Glück nur von Gott geschenkt waren, hochmütig hatte er geglaubt, nichts könne ihn aus seinem „wunschleben“ stürzen. Heinrich, nun zum „armen Heinrich“ gewor­ den, fährt in die Zentren der damaligen medizinischen Wissenschaft, nach Montpellier und Salerno. Die Diagnose, die er dort bekommt, ist niederschmetternd: Nichts kann ihn heilen als das Herzblut eines Mädchens: „mir wære niht anders guot, wan von ir herzen das bluot“ . Der Text umfasst nur 1520 Verse – „Erec“ 10.130 Verse, „Iwein“ 8165 „Tristan“ 19.550, „Parzival“ 24.694 Verse –, kann also auch bei geringem Zeitbudget gelesen werden. Er liegt in vielen Taschenbuchausgaben vor. Empfehlenswert, aber kein Muss ist eine Ausgabe mit mittelhochdeutschem und neuhochdeutschem Text. Lesen Sie in Gruppen folgende entscheidende Stellen: Heinrich erzählt seinem Bauern und dessen Mädchen von der einzigen Heilungsschance (Vers 374–358) Das Mädchen will seine Eltern überzeugen, sich zu opfern (Vers 459–902) Die Unschlüssigkeit Heinrichs, ob er das Opfer annehmen soll (Vers 904–1036) Die Warnungen des Arztes vor der „Operation“ (Vers 1053–1179) Das Umschwenken Heinrichs (Vers 1180–1280) Die Reaktion des Mädchens (Vers 1285–1341) Die überraschende Wende (Vers 1353–1404) Das Ende (Vers 1430–1520) PROJEKT Die Aventiure INFO Die Welt der Helden in den höfischen Epen ist das Abenteuer, die Aventiure. Das Wort kommt aus dem vulgärlateinischen adventura: „das, was kommen muss“. Sie ist eine Tat ohne unbedingten Zweck. Ihr Sinn ist die Leistung als solche. Sie erhöht den Wert des Mannes. Die Aventiure führt immer wieder ins Wunderbare, Märchenhafte, ins Reich der Riesen, Zwerge, Ungeheuer, wo der Ritter seine Ideale verwirklichen kann. Gleichzeitig versetzt sie das Publikum in Erstaunen und befriedigt sein Bedürfnis nach Unerwartetem und Sensationellem. Die Ritterehre muss wieder hergestellt werden Erec demonstriert in vielen Aventiuren seine ritterliche Bewährung, erleidet „nôt“ und „arebeit“ (Mühe), erprobt seine „erbermde“ (Mitgefühl). Nach dem letzten siegreichen Kampf kehrt er mit seiner Frau zurück in sein König­ reich und herrscht dort in Glück und Harmonie. Er hat die Forderung an den Ritter, für die Gemeinschaft tätig zu sein, wieder erfüllt. „Iwein“: Ein Ritter „verreitet“ sich Iwein, die Hauptfigur von Hartmanns zweitem Epos aus der Welt des Artuskreises, ist der Gegenpol zu Erec. Auch Iwein verstößt gegen Grundideen des höfischen Lebens. Er liebt die Aventiuren zu sehr und lässt es an „triuwe“ gegenüber seiner Frau mangeln. Während Erec sich „verliget“, „verrîtet“ Iwein sich. Aber auch an „erbermde“ fehlt es ihm: Er verletzt das Recht der Schwachen auf Schutz und Schonung, tötet einen Fliehenden gegen jede ritterliche Übereinkunft. Doch auch hier gibt es ein gutes Ende, da Iwein sein Vergehen gegen den ritterlichen Verhaltenscodex einsieht. 2 4 6 8 Nur zu Prüfzwecken – Eigentu des Verlags öbv

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