Literaturräume, Schulbuch
geradeso, als wenn das Wasser spräche: „Ich kann hohe Wellen schlagen (Ja! nämlich im Meer und Sturm.) Ich kann reißend hinabeilen (Ja! nämlich im Bette des Stroms), ich kann schäumend und sprudelnd hinunterstürzen (Ja! nämlich im Wasser- fall), ich kann frei als Strahl in die Luft steigen (Ja! nämlich im Springbrunnen) usw.; tue jedoch von dem allen jetzt nichts, sondern bleibe freiwillig ruhig und klar im spiegelnden Teiche!“ 213 Das funDament | DIe lIteraturübersIcht Schopenhauers Denken kam den vom Ausgang der Revolution enttäuschten, auf keine politische Veränderung mehr hoffenden Bürgern entgegen. Besonders in der Literatur der österreichischen Realisten fand Schopenhauer großen Widerhall. Darwin: Kampf ums Dasein In seinem Buch „Über den Ursprung der Arten durch natürliche Zuchtwahl“ (1859) hatte Charles Darwin (1809– 82) die These formuliert, dass sich das Leben im ständigen Kampf ums Dasein entwickelt habe und unter dem Druck der Auslese der „Tüchtigsten“ stehe. Der Darwinismus wurde vielfach dazu missbraucht, soziale und poli tische Ungerechtigkeiten als „natürlich“ zu legitimieren. Das „Recht des Stärkeren“ sei eben das „Recht des Tüch tigen“, das liege imWesen des Lebens. Freiheit und Gerechtigkeit konnten so oft fälschlich im Namen des Darwi nismus bekämpft werden. DIe lIteraturübersIcht Keine Utopien, keine Experimente, keine „nackte“ Darstellung der Wirklichkeit Nicht alles darstellen Zu den Autoren, die das Ziel des poetischen Realismus definierten, gehört Theodor Fontane (1819–98). In der Schrift „Unsere lyrische und epische Poesie seit 1848“ stellt er 1853, dem Jahr, in dem Stifter seine Vorrede zu den „Bunten Steinen“ schreibt, das literarische Programm des Realismus vor. Eingangs warnt Fontane vor Tendenzen, die glauben machen, die Literatur sei ohnehin am Ende: „Es gibt neunmalweise Leute in Deutschland, die mit dem letzten Goetheschen Papierschnitzel unsere Literatur für geschlossen erklären.“ Dann entwickelt Fontane seine Vor stellungen von Dichtung: Weder idealistische Spekulationen wie bei Schiller, literarische Experimente wie in der Romantik noch politische Utopien wie in der Literatur des Vormärz, aber auch nicht „nackter“ Realismus gehören für Fontane in die Literatur. „Vor allen Dingen verstehen wir nicht darunter das nackte Wiedergeben alltäglichen Lebens, am wenigsten seines Elends und seiner Schattenseiten. […]“ „Verklärung“ soll Abstand schaffen zwischen Realität und Dichtung Damit sich die Dichtung von bloßer Berichterstattung unterscheidet, soll sie, so fordern es die Realisten, die Wirklichkeit „verklären“. Damit ist keine Verschleierung der Realität gemeint. Aber „Verklärung“ garantiert, dass die von der Dichtung geschaffene Realität Abstand von der tatsächlichen Wirklichkeit hat und damit Dichtung und Kunst bleibt. Dass die Realisten tatsächlich keine Realitätsverschleierung betreiben, zeigen ihre Themen: die gesellschaftliche Situation der Frau, der Widerspruch zwischen bürgerlicher Moral und tatsächlichem Verhalten, das Ausgeliefertsein an die sozialen Veränderungen, Armut und Einsamkeit, der Verlust von Orientierung durch das Zurückdrängen gewohnter Wertmaßstäbe wie Religion und Sitte. Die Realisten verzichten aber darauf, für die dargestellten Fragen Lösungen anzubieten oder sich für eine politische Neuorientierung einzusetzen. Deshalb bleibt auch die Welt der Proletarier im Realismus weitgehend ausgeklammert. Wenn die Lage der Arbeiter/ Arbeiterinnen dargestellt wird, dann als Einzelschicksal, nicht als Situation einer ganzen Bevölkerungsschicht. Ihr gilt erst die Aufmerksamkeit der folgenden Epoche, des Naturalismus. 2 4 6 8 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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