Literaturräume, Schulbuch
21 Die Literaturübersicht Der dritte große Epiker des Hochmittelalters, Gottfried von Straßburg , versteht seinen „Tristan“ (zwischen 1200 und 1210 entstanden) als Anleitung, wie „edele herzen“ , die Creme der Adelsgesellschaft, die ideale Liebe leben sollen (3) . Höfisches Epos und Minnesang haben Gemeinsames Die Liebe – mittelhochdeutsch „minne“ – ist ein Hauptthema der höfischen Literatur. Sie ist Dienst an der Dame. In den höfischen Epen dient ihr der Held auf rechte Weise durch die Abenteuer, die er für sie besteht. Im Minne sang geschieht dies durch die Lieder, welche die Dame preisen. Dass die Frau in der Literatur in dominanter Posi tion erscheint, hat freilich wenig zu tun mit dem tatsächlichen sozialen Stellenwert der Frau in der Alltagsrealität. Der Minnesang und seine Herkunft Die Minnelyrik tritt um 1160 unvermittelt in die deutsche Literatur. Die Wissenschaft sieht verschiedene Wur zeln als möglich an: volkstümliche Lieder der Zeit, lateinische Lieder von Klerikern und Scholaren (Angehörige der Dom- und Klosterschulen), die auch oft „Vagantenlyrik“ genannt werden, Lyrik aus der arabisch geprägten Hofkultur Spaniens oder die lateinische frühmittelalterliche Lyrik der Marienverehrung. Erste Minnelyrik findet sich Ende des 12. Jahrhunderts in der Provence, gesungen von den Trouvères, und im nördlichen Frankreich, wo die Troubadours ihre Gesänge vortrugen. Die Formen des Minnesangs Die Minnelieder entstehen nicht aus subjektiven Anlässen, sie sind bis ins Einzelne in Sprache, Form und Inhalt genormte Texte, in denen die Rollen vorgegeben sind: die Dame als Angebetete, der Dichter als – freilich nur fiktiv im Text, nicht in der Realität – um sie Werbender. Allerdings gibt es bei den Dichtern Auffassungsunter schiede, ob und wie weit die in den Liedern besungene Zuneigung zur Frau auch gelebt werden darf oder auf die Literatur beschränkt sein soll. Dies zeigen die deutlichen Differenzen zwischen den Liedern des frühen donau ländischen Minnesangs und deren Vertretern Dietmar von Aist und Dem von Kürenberg (um 1160 bis 1175), die von erfüllter Liebe singen (4), und der Minneauffassung eines Reinmar von Hagenau (um 1170 bis 1205), der in seinen Minneliedern gerade die unerfüllte Sehnsucht nach der Dame preist. Walther von der Vogelweide (um 1170 bis 1220) akzeptiert im Gegensatz zu Reinmar Minne nur als gegenseitige Beziehung (5) . Walther feiert die „Ebene Minne“ zwischen sozial Gleichgestellten, während Reinmars „Hohe Minne“, die sich nur an adelige Da men richtet, auf erotische Erfüllung verzichtet. In den Liedern Neidharts von Reuental (um 1180 bis 1240) agie ren nicht mehr Ritter und adelige Damen, sondern Dorfburschen, Bauernmädchen und, sehr ironisch dargestellt, auch ältere Frauen, welche die Maienluft zur Suche nach der Liebe anstachelt. Minnesang ist bewusste Konkurrenz der Dichter untereinander. Der geglückte Vortrag der tatsächlich gesun genen, von Rhythmus-, Streich- und Blasinstrumenten begleiteteten Lieder am Hof gibt Prestige wie ein Jagd erfolg oder ein Sieg im Turnier. Die Spruchdichtung Der Richtlinie, dass das Leben des Ritters harmonisch zwischen weltlichen Belangen und der Hinwendung zu Gott verlaufen möge, war schwer zu folgen. Dazu trug der Kampf zwischen Kaiser- und Papsttum um die geistige und politische Herrschaft dieser Epoche ebenso bei wie die meist schwierige wirtschaftliche Situation der Dich ter, die von Hof zu Hof ziehen mussten, um ihren Unterhalt zu sichern. Die Sprüche Walthers von der Vogel- weide berichten von den politischen Kämpfen und den Nöten der Dichter (6) . Das Heldenepos Von der Gefährdung der höfischen Ideale gibt auch das Heldenepos Zeugnis. Das Nibelungenlied (7) , das sich um 1200 wie ein Fremdkörper in die Welt der höfischen Gesellschaft drängt, lässt die brutale Realität hinter der idealen Welt der Ritter durchscheinen. Während die höfischen Epen grundsätzlich ein gutes Ende haben, domi nieren im Nibelungenlied bis zum Schluss Mord, Rache, Gewalt, Lüge und Hinterlist als Methoden der Konflikt lösung und führen in den Untergang. Die große Zahl von 40 mittelalterlichen Handschriften zeigt die Beliebtheit des Nibelungenlieds und beweist das lange Fortleben der alten germanischen Welt unter der Oberfläche der ritterlichen und christlichen Tugenden. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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