Literaturräume, Schulbuch
206 Das bIeDermeIer unD DIe lIteratur Des vormärz (1820–1848) 3 Amerika: Land, wo „die Tyrannei zerschellt“, oder Land der „Krämerseelen“? Nikolaus Lenau: „Briefe aus Amerika“ (1832); Heinrich Heine: „Ludwig Börne. Eine Denkschrift“ (1840) Amerikalob, Amerikakritik und Pauschalurteile Ein Kennzeichen der Literatur des Vormärz ist das freiwillige oder erzwungene Exil vieler Autoren. Heine und Börne gingen freiwillig nach Frankreich, Büchner musste über die französische Grenze fliehen, um sich vor poli zeilicher Verfolgung zu retten. Eine besondere Anziehungskraft übte jedoch Amerika aus. Der österreichische Priester Carl Postl verließ heimlich sein Kloster und verbrachte Jahre in Mexiko und den USA. Unter dem Pseudo nym Charles Sealsfield veröffentlichte er „Das Kajütenbuch“ (1841), in dem er die amerikanische Demokratie dem „versklavten“ Europa gegenüberstellte. Auch Nikolaus Lenau emigrierte 1832 mit hohen Erwartungen in die USA, die er zunächst enthusiastisch begrüßte: „ Du neue Welt, du freie Welt, / An deren blütenreichem Strand / Die Flut der Tyrannei zerschellt, / Ich grüße dich, mein Vaterland.“ Mit diesen Worten endet das „Lied eines Auswan dernden“. Doch bald war Lenau von den USA und, wie er es sah, ihrem Run nach Geld enttäuscht und verließ das Land. „Man meine ja nicht, der Amerikaner liebe sein Vaterland […]. Jeder einzelne lebt und wirkt in dem republi- kanischen Verbande, weil dadurch sein Privatbesitz gesichert ist […]. Der Amerikaner kennt nichts, sucht nichts als Geld.“ Pauschal beurteilt er die Amerikaner als „himmelanstinkende Krämerseelen. Tot, für alles geistige Leben mausetot.“ Ein schiefes Licht auf Lenaus Kritik wirft seine vorurteilsvolle Haltung gegenüber Ungewohntem: „So z. B. gehen die Männer in den Städten auf den Gemüsemarkt, den Korb am Arme tragend, und kaufen hier das Nötige zusammen, während die Frauen sich zu Hause sehr behaglich und sehr müßig auf eigens dazu eingerichteten Schaukelstühlen hin und herwiegen. Die Weiber sind fast heilig gehalten […].“ Gegen Ausbeutung und Sklaverei Der Österreicher Ferdinand Kürnberger (1821–79) gestaltete Lenaus Amerikaerlebnisse zu einem kritischen Roman mit dem Titel „Der Amerikamüde“. Der Held dieses Romans wandert voller Optimismus in die USA aus, doch seine Erfahrungen sind desillusionierend. Betrüger bringen die Siedler um ihr Geld, sektiererische Prediger treiben ihr Unwesen, Spekulanten rauben den Leuten das Vermögen. Heinrich Heine widmet zunächst in seinem Gedichtband „Romanzero“ Amerika Lobverse. Amerika war für ihn im Gegensatz zu Europa „kein Kirchhof der Romantik, […] kein alter Scherbenberg / Von verschimmelten / Und versteinerten Perucken“ . Doch vor allem of fener Rassismus macht Heine bald zum scharfen AmerikaGegner: Ihr lieben deutschen Bauern! geht nach Amerika! dort gibt es weder Fürsten noch Adel, alle Menschen sind dort gleich, gleiche Flegel … mit Ausnahme freilich einiger Millionen, die eine schwarze oder braune Haut haben und wie die Hunde behandelt werden! Die eigentliche Sklaverei, die in den meisten nordamerikanischen Provinzen abgeschafft, empört mich nicht so sehr wie die Brutalität, womit dort die freien Schwarzen und die Mulatten behandelt werden. Wer auch nur im entferntesten Grade von einem Neger stammt und wenn auch nicht mehr in der Farbe, sondern nur in der Gesichtsbildung eine solche Abstammung verrät, muss die größten Kränkungen erdulden […]. Amerikaexotik Auch die ersten Schilderungen des „wilden“ und exotischen Amerika verdanken wir Literaten des Vormärz, wie Friedrich Gerstäcker (1816–72) mit dem Roman „Die Flusspiraten des Mississippi“. Selten fiel der Blick aber noch auf die in ihrer Existenz gefährdeten Indianer. Zu den ersten, die dieses Thema in der deutschen Literatur behan delten, allerdings auf sehr klischeehafte Weise, zählt Karl May (1842–1912). Seine Gegenüberstellung des guten Deutschen Old Shatterhand und der bösen „Yankees“ und die Kontrastierung der vielen bösen Indianer mit der Idealfigur Winnetou geben kein wirklichkeitsgetreues Bild der Umstände. 2 4 6 8 10 12 14 AUFGABE > Fassen Sie die positiven und negativen Urteile über Amerika zusammen! Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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