Literaturräume, Schulbuch
205 Der leseraum Ein Antimärchen In einem eingestreuten „Märchen“ zeigt Büchner seinen Pessimismus über den Zustand der Welt besonders deutlich. Nicht nur soziale Probleme belasten den Menschen, die Welt als Ganzes ist für Büchner problematisch. Es war einmal ein arm Kind und hat kein Vater und kein Mutter war alles tot und war niemand mehr auf der Welt. Alles tot, und es ist hingangen und hat greint Tag und Nacht. Und weil auf der Erd niemand mehr war, wollt’s in Himmel gehn, und der Mond guckt es so freundlich an und wie’s endlich zum Mond kam, war’s ein Stück faul Holz und da ist es zur Sonn gangen und wie’s zur Sonn kam, war’s ein verreckt Sonneblum und wie’s zu den Sterne kam, warens kleine goldene Mück, die waren angesteckt wie der Neuntöter sie auf die Schlehe steckt und wie’s wieder auf die Erd wollt, war die Erd ein umgestürzter Hafen und war ganz allein und da hat sich’s hingesetzt und geweint und da sitzt es noch und ist ganz allein. „Woyzeck“: unvollendet, ungesichert, aber von großer Wirkung „Woyzeck“ blieb unvollendet, Büchner hinterließ das Stück in einer Reihe von Handschriften, die voneinander oft stark abweichen. Weder ein Personenverzeichnis noch eine Einteilung in Akte oder eine gesicherte Reihenfolge der Szenen wurden von Büchner erstellt. Das Drama blieb im Vormärz unbekannt, die erste Veröffentlichung datiert aus dem Jahr 1880. Der Herausgeber arbeitete allerdings eher unwissenschaftlich, ließ Text aus, fügte ein, las manches falsch. Die erste Aufführung fand 1913 statt. Seither gilt das Werk als das erste soziale Drama. Das bürgerliche Trauerspiel hatte die Kritik des Bürgertums am Adel formuliert, Büchner aber bringt erstmals das „einfache Volk“ auf die Bühne und kritisiert das Bürgertum, dessen Repräsentanten wie Doktor und Hauptmann zu Unterdrückern geworden sind. Auf die Literatur des 20. Jahrhunderts hat „Woyzeck“ gewirkt wie kaum ein anderes Drama. Naturalistische und expressionistische Dramen und das epische Theater Bert Brechts sind nicht denkbar ohne das Vorbild „Woyzeck“. Die Literaturwissenschaft bemüht sich noch heute, in einer „kritischen Ausgabe“ den Text sowohl „lesefreundlich“ herauszugeben als auch einen Einblick in die verschiedenen Fas sungen Büchners zu ermöglichen. Der Mensch als Versuchsobjekt Informieren Sie sich, etwa in Gruppen, über das von Büchner literarisch gestaltete Thema „Versuche am Menschen“. Präsentieren Sie ihre Ergebnisse in der Klasse. 1. Gehen Sie der Geschichte der Menschenversuche seit der Antike nach, zum Beispiel unter http://de.wikipedia.org/wiki/Menschenversuch. 2. Über die beispiellose Verbindung von wissenschaftlicher Perversion und mörderischer Perfektion in den NSLagern informiert u. a. das Buch „Medizin ohne Menschlichkeit“ (Alexander Mitscherlich/Fred Mielke, 1995). 3. Über „klassische“ moderne Menschenversuche wie das MilgramExperiment oder das StanfordPrison Experiment, nach dem der Film „Das Experiment“ gedreht wurde, sowie über kuriose Experimente an Menschen informiert Sie das „Buch der verrückten Experimente“ von Reto U. Schneider (2006). PROJEKT AUFGABE > Markieren Sie die Stellen, an denen sich besonders deutlich zeigt, wie im Experiment des Doktors sich die Aufgabe des Arztes, Menschen zu heilen, in die Freude am bewussten Zerstören verkehrt. AUFGABEN > Worin besteht der inhaltliche Unterschied zwischen Büchners „Antimärchen“ und gewohnten Märchen? > Mit welchen Assoziationen und Gefühlen werden im Allgemeinen Sonne, Mond, Sterne verbunden? > Vergleichen Sie dieses Märchen inhaltlich mit den Grimm’schen Märchen „Die sieben Raben“ und „Die Sterntaler“, von denen sich Elemente in Büchners Märchen finden! Achten Sie besonders darauf, welche Elemente der beiden Märchen Büchner übernimmt, weglässt und was er hinzufügt! 2 4 6 8 10 12 14 Nur zu Prüfzwecken – Eig entum des Verlags öbv
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