Literaturräume, Schulbuch

202 Das bIeDermeIer unD DIe lIteratur Des vormärz (1820–1848) Schluss mit den Einlullliedern Mit den Auseinandersetzungen um 1830 und seiner Übersiedlung nach Paris erhält Heines Lyrik starke politische Inhalte und erscheint zum Teil in seinen gesellschaftskritischen Reiseberichten. So stammt das folgende Gedicht, in dem Heine die Überquerung der französischdeutschen Grenze schildert, aus der Reisesatire „Deutschland. Ein Wintermärchen “ (1844). Im traurigen Monat November war’s, Die Tage wurden trüber, Der Wind riss von den Bäumen das Laub, Da reist ich nach Deutschland hinüber. Und als ich an die Grenze kam, Da fühlt ich ein stärkeres Klopfen In meiner Brust, ich glaube sogar Die Augen begunnen zu tropfen. Und als ich die deutsche Sprache vernahm, Da ward mir seltsam zumute; Ich meinte nicht anders, als ob das Herz Recht angenehm verblute. Ein kleines Harfenmädchen sang. Sie sang mit wahrem Gefühle Und falscher Stimme, doch ward ich sehr Gerühret von ihrem Spiele. […] Sie sang vom irdischen Jammertal, Von Freuden, die bald zerronnen, Vom Jenseits, wo die Seele schwelgt Verklärt in ew’gen Wonnen. Sie sang das alte Entsagungslied, Das Eiapopeia vom Himmel, Womit man einlullt, wenn es greint, Das Volk, den großen Lümmel. […] Ein neues Lied, ein besseres Lied, O Freunde, will ich euch dichten! Wir wollen hier auf Erden schon Das Himmelreich errichten. Wir wollen auf Erden glücklich sein, Und wollen nicht mehr darben; Verschlemmen soll nicht der faule Bauch, Was fleißige Hände erwarben. Es wächst hienieden Brot genug Für alle Menschenkinder, Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust, Und Zuckererbsen nicht minder. Ja, Zuckererbsen für jedermann, Sobald die Schoten platzen! Den Himmel überlassen wir Den Engeln und den Spatzen. Heine angegriffen, totgeschwiegen, benützt Bereits zu Lebzeiten Heines begann die Auseinandersetzung um sein Werk. Herabwürdigung der Religion, schrankenlose Subjektivität, Frivolität wurden ihm vorgeworfen, aber auch, ohne Zweifel mit Recht, schärfste Verletzung von Autoren, die eine andere Anschauung von Dichtung hatten. So agierte Heine zum Beispiel gegen August von Platen (1796–1835), dem Heine dessen Homosexualität vorwarf. Platen wiederum bediente sich gegen Heine des Antisemitismus. Dieser führte im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einer breiten Ablehnung Heines, bis das NSRegime 1933 ohnehin „Schluss mit Heine“ verordnete. Man konnte aber nicht umhin, Heines „Loreley“Gedicht in die Lesebücher aufzunehmen, zu bekannt war der Text. Die NSLesebücher veröffentlichten das Gedicht allerdings unter „Autor unbekannt“. Auch im 20. Jahrhundert setzte sich Heine in Deutschland und Österreich schwer durch. Die ehemalige DDR hingegen benützte Heine für den ideologischen Kampf gegen den „kapitalistischen Westen“. Heine wurde dort zu einem der meistgelesenen Klassiker der deutschen Literatur. Hoch war immer schon Heines Ansehen im Ausland. In Frankreich gilt er nach Goethe als der größte deutsche Dichter. 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 AUFGABEN > Welche politische Funktion haben für Heine Lieder wie die des (fiktiven) Harfenmädchens? > Welche religiösen Aussagen kritisiert der Autor? > Wo zeigt sich die Sozialkritik des Autors besonders deutlich, wo wird der Ironiker Heine sichtbar? Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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