Literaturräume, Schulbuch
200 Das bIeDermeIer unD DIe lIteratur Des vormärz (1820–1848) DIe lIteraturübersIcht 2 Die Literatur des Vormärz: Offene Opposition Die Aufbruchsstimmung von 1830 und das „Junge Deutschland“ Die JuliRevolution von 1830 in Paris und die in der Folge auch in Deutschland ausbrechenden Aufstände reißen die deutschen Autoren aus ihrer politischen Resignation: „Das Abzeichen der modernen Literatur ist es […], dass sie ein Kind der Politik, […] ein Kind der Juliusrevolution ist“ , schreibt Georg Herwegh, einer der engagiertesten Dichter des Vormärz. Forderungen nach Pressefreiheit, Abschaffung der Zensur, Emanzipation der Frau, Kritik an der Herrschaft von Adel, Klerus, Ablehnung der Mo narchie werden zu Themen der Literatur. Ein Teil dieser Autoren wird un ter dem Namen „Junges Deutschland“ zusammengefasst. Dazu gehören Heinrich Heine (1797–1856), Ludwig Börne (1786–1837), Georg Her wegh (1817–75). Als radikalster unter ihnen gilt Ludwig Börne. Literatur ist für ihn eine Waffe und „soviel als möglich einem Schwerte gleichzuma- chen“ . 1835 wurde über die Autoren des „Jungen Deutschland“ Publikati onsverbot verhängt, mit der Begründung, sie hätten es sich zur Aufgabe gemacht, „die christliche Religion auf frechste Weise anzugreifen, die beste- henden sozialen Verhältnisse herabzuwürdigen und alle Zucht und Sittlich- keit zu zerstören“ . Die Bezeichnung „Vormärz“ bezieht sich auf die März revolution von 1848. Mit neuen Formen gegen den „kalten“ Goethe Opposition zu Klassik und Romantik lautet das literarische Programm der Literatur des Vormärz: „Lessing, Klop- stock, Goethe, Schiller – wer von ihnen hat sich für die Geschichte der Zeit in ihrem Detail interessiert […]?“, schreibt Herwegh. Besonders Goethe gilt der Angriff: „Goethe war kalt, indifferent, er sympathisierte nur mit der Ewigkeit“ , so Herwegh weiter. Als Goethe 1832 starb, wurde sein Tod als Befreiung empfunden. Es sei jetzt das „Ende der Kunstperiode“ gekommen, schrieb Heine, nun müsse „die Revolution in die Literatur treten“ . Um von einem mög lichst breiten Publikum gelesen zu werden, dominiert Prosa statt gebundener Rede. Rasch zu lesende Gattungen wie Skizze, Brief, Flugblatt sind beliebte Ausdrucksformen. Auch die Lyrik bekommt zunehmend politischen In halt. Einen neuen Aspekt erhält die seit der Aufklärung beliebte Reiseliteratur. Sie dient weniger der Schilderung dessen, was ein Autor auf Reisen erlebt hat, sondern der Kritik der Epoche. Beispiele für diese literarische Kritik und Politisierung sind Heinrich Heines Gedichte aus dem „Buch der Lieder“ , seine „Reisebilder“ und „Deutsch- land. Ein Wintermärchen“ (1) . Andererseits setzt die Literatur des Vormärz auf das Drama, das durch die Büh nendarstellung oft mehr beeinflussen kann als bloß Gelesenes. Georg Büchner (1813–37) schreibt mit „Woyzeck“ die eindringlichste Darstellung des unterdrückten Menschen (2) . In „Dantons Tod“ stellt Büchner die problema tische Entwicklung der Französischen Revolution dar. Der zweite große Dramatiker der Zeit ist Christian Dietrich Grabbe (1801–36). Auch die Helden seiner Dramen – „Don Juan und Faust“, „Napoleon oder die hundert Tage“, „Hannibal“ – sind am Ende Gescheiterte, dem Zufall Ausgelieferte. Amerika tritt in die Literatur Die Literatur des Vormärz nimmt auch ein ganz neues Thema auf: die Auseinandersetzung mit den USA. Die Autoren beschreiben Amerika einerseits als Gegenbild zu Deutschland und Österreich, setzen sich aber auch kritisch mit ihm auseinander und eröffnen eine bis heute andauernde „USAKontroverse“. Auch der bedeu tendste österreichische Lyriker der Epoche, Nikolaus Lenau (1802–50), beteiligt sich daran. Gerade er wird oft fälschlich als biedermeierlicher Naturdichter abgetan. Viele seiner Gedichte, wie die „Schilflieder“, haben zwar die Natur als Thema, doch diese vermittelt dem Menschen keine Geborgenheit mehr, in die er vor der Realität flüchten könnte. Viele Gedichte Lenaus sind von politischem Engagement geprägt und äußern sich aggressiv INFO Hegel – der Philosoph, auf den sich Konservative und Revolutionäre berufen „Was vernünftig ist, das ist wirklich, und was wirklich ist, ist vernünftig.“ So lautet ein zentraler Satz des Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770– 1831). Auf ihn beriefen sich sowohl die beharrenden Kräfte als auch die revolutionären. Die konservativen „Rechtshegelianer“ interpretierten Hegels Grundsatz von der Vernünftigkeit des Seins so, dass der aktuelle Zustand der vernünftige sei. Die „Linkshegelia ner“ hingegen meinten, dass die bestehende Ordnung unvernünf tig sei, deshalb verschwinden müsse und durch eine vernünftige zu ersetzen sei. Nur zu Prüfzweck n – Eig ntum des Verlags öbv
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