Literaturräume, Schulbuch
20 DIe lIteratur Des hohen mIttelalters (1170–1250) > Welche Begriffe aus dem ritterlichen Tugendsystem erscheinen Ihnen auch heute wichtig, welche halten Sie für „überholt“? AUFGABE (Freigebigkeit gegenüber den Armen), „triuwe“ (Ergebenheit dem Lehensherrn gegenüber, Treue gegenüber der Frau, Opferbereitschaft gegenüber Freunden und Anvertrauten), „stætekeit“ (Beständigkeit), „mâze“ (Maßhalten, Verzicht auf Verschwendung, Zorn, Gier), „zuht“ (Höflichkeit, Anstand, feine Sitte). Nicht verzichtbar sind auch „sin“ (Verstand, Vernunft) und „bescheidenheit“ (Urteilskraft), „reht“ (Gerechtigkeit), „geloube“ (Glaube), „geding“ (Hoffnung), „vrümekeit“ (Tapferkeit), „kiusche“ (Keuschheit), „diemuot“ (Demut). Daraus soll sich ein Leben voll „hôhem muot“ – seelischer Hochgestimmtheit – „fröide“ und „sælde“ – Glück – ergeben, das zum „obersten guot“ führt, dem ewigen Leben in Gott. DIe lIteraturübersIcht Dichtung für die adeligen Damen und Herren Die erste „Klassik“ Die Wissenschaft bezeichnet die Literatur des Hochmittelalters manchmal als erste große klassische Epoche der deutschen Literatur oder auch als „Staufische Klassik“. Häufig werden auch die Begriffe „ritterliche“ oder „hö fische“ Literatur verwendet, um den sozialen Stand zu betonen, von dem diese Literatur vorzugsweise geschrie ben wurde und mit dem sie sich inhaltlich befasste. Das Tugendsystem, die Realität und die literarischen Gattungen Liest man in Schriften dieser Zeit, die sich mit dem täglichen Leben be fassen, so ist darin weniger von „höveschheit“ zu lesen als von Raub, Mord, Plünderungen, Hunger. Die Ideale des Tugendsystems waren in der Realität des täglichen Lebens stets in Gefahr, verletzt oder missach tet zu werden. Deshalb bekommt die höfische Literatur eine wichtige Rolle: Höfische Epik und Lyrik sollen durch die Darstellung von beispiel haftem Verhalten zur Einhaltung der ritterlichen Tugenden und zur richtigen Balance zwischen weltlicher Anerkennung und demütiger Be ziehung zu Gott anleiten. Auch für politische Zwecke dient die Litera tur, zum Beispiel für den Kampf des Kaisertums gegen den Papst. Ent scheidend neu gegenüber dem frühen Mittelalter ist allerdings, dass die literarischen Texte erstmals auch Beachtung als selbstständige Werke finden, die unabhängig von Zwecken und Zielen einen ästhetischen Wert haben. Höfische Epik, Minnesang, Spruchdichtung und Helden epik bilden die wichtigsten Gattungen der hochmittelalterlichen Literatur. Die höfische Epik Die höfische Epik ist zugleich Lehrdichtung und Unterhaltung. Sie führt vor, wie ein Ritter leben soll und was ihm droht, wenn er die Regeln des Standes verletzt. Die literarischen Gestalten dienen als Vorbilder für richtiges Verhalten. Dazu gehören König Artus, der Ritter Erec, dessen Gattin Enîte und der Ritter Iwein aus den höfischen Epen „Erec“ (um 1180) und „Iwein“ (vollendet um 1205) von Hartmann von Aue (1) . Auch Wolfram von Eschenbach will in seinem „Parzival“ (um 1210 voll endet) die Hörer und Leser zum richtigen ritterlichen Leben führen (2) . INFO So werden die Texte gesprochen: Die mit einem Zirkumflex ˆ versehenen Vokale und die Umlaute ae, oe und iu (= ü) werden lang gesprochen, alle anderen Vokale kurz. Die Buchstabenfolgen ie, üe und uo werden als Zwielaute – wie in unserer Mundart ausgesprochen: „Des is aber l ia b. Des is g uo t.“ Das h ist kein Dehnungszeichen, sondern wird als solches gesprochen; vor s und t spricht man es als „ch“ : „naht“ = „Nacht“ . Das c wird als „k“ gesprochen („tac“), das z wird am Wortbeginn und nach Konsonanten als ,,z“ gesprochen (zuo, herze), sonst als scharfes „s“ : daz, wazzer; das v wird als „f“ gesprochen. Um den Rhythmus nicht zu beeinträchtigen, wird ein Vokal am Ende eines Wortes – meist ein e – nicht gesprochen, wenn das folgende Wort mit einem Vokal beginnt: ze Ouwe = „zOuwe“ . In mittelalterlichen Texten war die Schreibung allerdings nicht geregelt. Die heutige Schreibweise beruht auf Vorschlägen des Germanisten Karl Lachmann (1793–1851). Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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