Literaturräume, Schulbuch

Das „Biedermeierland“ Österreich Das Zentrum der Kultur des Biedermeier liegt in Österreich. Dafür gibt es mehrere Ursachen: Die Wirkung der Aufklärung war in Österreich nicht von langer Dauer. Die Nachfolger Josephs II. machten dessen Reformen – Beschränkung der Privilegien von Adel und Klerus, Zurückdrängung des Einflusses des Papstes, Ausbau der Bildungseinrichtungen – weitgehend rückgängig. Der „aufgeklärte“ Absolutismus verwandelte sich zurück zum autoritären Absolutismus. Das MetternichRegime isolierte sich durch Schutzzölle, Reisebeschränkungen, weshalb auch revolutionäre Ideen schwer eindringen konnten. Wien zeichnete sich durch besonders strenge Kontrolle von Bildung und Kultur aus. Die Vorlesungen an den Universitäten wurden ebenso überwacht wie die Theatervorstellungen. Infolge der langen absolutistischen Tradition konnten in Österreich weder Sturm und Drang noch Romantik entstehen, welche in Deutschland die politischen Forderungen entscheidend vorbereitet hatten. „Politisch borniert, wirtschaftlich rückständig, ethnisch, geographisch und geschichtlich heterogen“ nennt ein Wissenschafter das Österreich zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Die Dichter des Biedermeier und die Revolution Im Jahr 1846 veröffentlicht der revolutionär gesinnte Autor Ludwig Pfau (1821–94) folgende Satire auf die Bürger seiner Zeit: Herr Biedermeier, Mitglied der „besitzenden und gebildeten Klasse“ 187 Das funDament | DIe lIteraturübersIcht 1 Schau, dort spaziert Herr Biedermeier, Und seine Frau, den Sohn am Arm; Sein Tritt ist sachte wie auf Eier, Sein Wahlspruch: Weder kalt noch warm. Das ist ein Bürger hochgeachtet, Der geistlich spricht und weltlich trachtet; Er wohnt in jenem schönen Haus Und – leiht sein Geld auf Wucher 1 aus. Regierlich stimmt er bei den Wahlen, Denn er missbilligt allen Streit; Obwohl kein Freund vom Steuerzahlen, Verehrt er sehr die Obrigkeit. Aufs Rathaus und vor Amt gerufen, Zieht er den Hut schon auf den Stufen; Dann aber geht er stolz nach Haus Und – leiht sein Geld auf Wucher aus. Am Sonntag in der Kirche fehlen, Das wäre gegen Christenpflicht; Da holt er Labung seiner Seelen – Und schlummert, wenn der Pfarrer spricht. Das führt ihn lieblich bis zum Segen, Den nimmt der Wackre fromm entgegen. Dann geht er ganz erbaut nach Haus Und – leiht sein Geld auf Wucher aus. Doch was Pfau hier als Charakter des „Biedermeierbürgers“ anklagt, gilt absolut nicht für die Dichterinnen und Dichter, nicht nur deshalb, weil diese kein Geld auf Wucherzinsen verleihen. Sie sind keine Prediger idyllischen Rückzugs, als die sie manchmal oberflächlich gesehen werden. Zwei oft als „typische“ Biedermeierdichter etikettierte Autoren wie Nestroy und Lenau sind einer Revolution nicht abgeneigt, Lenau fordert sie geradezu. Raimund, Grillparzer, Stifter sind offen für Veränderungen, lehnen Revolutionen allerdings ab. Stifter begründet dies so: In ruhigen Zeiten, wo die Menschen ihren Geschäf- ten nachgehen, gelingt es auch immer, wenn die Gesetze und Ämter gut sind, […] verbrecherische […] Menschen im Zaume zu halten und das Land vor großen [!] Schaden und vor Unsicherheit zu bewahren. Aber fürchterlich und ein wahrhaftes Verderben werden solche Menschen, wenn die Ruhe des Landes gestört wird und eine Revolution entsteht. Es ist zuweilen wahr, dass Gesetze und Anstalten […] einer Verbesserung bedürfen, da geschieht es auch manchmal, dass die Forderungen so laut werden, dass sich die Köpfe so erhitzen, dass ein Aufstand in dem Lande ausbricht. Da kommen nun diese Leute herbei, es ist ihnen eine heiß erwünschte Gelegenheit, die Gesetze, die Ämter, alle Schranken […] niederzureißen […]. Da sagen sie 2 4 6 8 10 12 2 4 6 8 14 16 18 20 22 24 10 12 14 16 1 hohe Zinsen AUFGABE > Welches Verhalten und welche Widersprüche wirft der Autor „Herrn Biedermeier“ vor? Beachten Sie dazu besonders den Schlussrefrain jeder Strophe! Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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