Literaturräume, Schulbuch
ungefähr dreihundert Dichterinnen aufstellen […]. Wenn sich nun in dem Haufen von Büchern und Gedichten, aus diesen weiblichen Händen hervorge- gangen, kein einziges wirklich originales, kein mit dem Genius lebendiger Poesie gestempeltes vorfin- det, […] was soll man daraus schließen? […] Rez. 1 hat sich erschreckt vor der bedeutenden Zahl unglücklicher, gestörter und geschiedener Ehen, welche die vorliegenden Lebensgeschichten deut- scher Dichterinnen ergeben: hier spielt kein Zufall; die Frau, welche einmal aus dem Kreise natürlicher Bestimmung weicht, gerät mit sich selbst in Zwie- spalt, sie kann nicht mehr leisten und ertragen, was ihr gebührt. 175 Der fokus 12 14 16 1 Rezensent: Kritiker (= Jacob Grimm) Bettina von Arnim Ohne die Salons der Frauen kein kritisches Publikum Das Frankreich des 17. und 18. Jahrhunderts ist das Zentrum der literarischen Salons. In den Häusern von Frauen wie Mademoiselle de Scudéry, Madame de Sévigné oder, im 19. Jahrhundert, im Haus der Madame de Staël wur den Literatur und Philosophie vorgestellt und diskutiert. Die Bedeutung dieser Salons für die Verbreitung der Literatur ist nicht zu unterschätzen. Die Dichtung tritt aus den Kreisen der Gelehrten und Fürstenhöfe heraus und erreicht das Bürgertum. Die ersten Salons in Deutschland entstehen in Berlin, wo sich ein aufgeklärtes Bürgertum entwickelt hatte und erste Anzeichen einer Frauenemanzipation deutlich wurden. Bedeutende ro mantische Salons hielten Henriette Herz (1764–1847) und Rahel Levin (= Rahel Varnhagen van Ense; 1771– 1833). Bettina von Arnims Engagement, die Welt zu „romantisieren“ Persönlich ist Bettina von Arnim (1785–1859) vielfach in die literarische Szene integriert. Sie ist Enkelin von Sophie La Roche, Tochter der von Goethe – siehe „Werther“ – verehrten Maximiliane La Roche, Schwester von Clemens Brentano und Gattin von Achim von Arnim. Die männ lichen Romantiker revoltieren zwar gegen die Verkümmerung des Lebens in der neuen Industriegesellschaft, doch ihre Proteste bleiben „nur“ poe tisch. Sie haben keine konkreten Änderungsvorschläge. Viel konkreter ist die Kritik Bettina von Arnims, die, auch aufgrund ihrer langen Lebens zeit, Einsicht in die politischen Verhältnisse gewinnt. Ihr Eintreten für die Armen, ins Abseits geratene Handwerker, wie die Weber, und ihre Analy se, dass soziale Not Kriminalität hervorbringt, weisen schon in die Epo che des „Jungen Deutschland“ und zur Religionskritik von Heinrich Heine oder Karl Marx. „Romantisierung“ ist für Bettina von Arnim Gesellschaftsänderung Mit ihrer „Romantisierung“ der Welt will Bettina von Arnim nicht nur eine poetische, sondern eine reale Harmo nie zwischen den Menschen herstellen. So sind auch sozialkritische Anliegen die Hauptthemen ihrer Werke, wie „Dies Buch gehört dem König“ oder im „Armenbuch“ (1844). Das „Armenbuch“ ist eines der ersten Bücher, das reale Fakten über die elenden sozialen Verhältnisse vor allem der Weber sammelt. Die Autorin musste jedoch auf dessen Veröffentlichung verzichten, als das preußische Militär den Hungeraufstand der schlesischen Weber nie derschlug, da sie im Verdacht der Verschwörung mit den Aufständischen stand. Ihr Freiraum wurde in dem Moment beschränkt, als sie politisch wirksam wurde. 1847 wurde sie zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt, die AUFGABEN > Welche MannFrauKlischees stellt Grimm auf? Was können seiner Ansicht nach dichtende Männer, was Frauen nicht? > Wie beurteilt er die steigende Zahl von Dichterinnen? > Wie lautet die von Grimm erwartete Antwort auf die rhetorische Frage „… was soll man daraus schließen?“ ? > Wozu führt die zunehmende Anzahl von schreibenden Frauen laut Grimm? 18 20 22 24 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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