Literaturräume, Schulbuch

setzt nicht mehr auf die Kraft des Ich, das sich über die Realität erheben kann. Charakteristisch für Leben und Werk der jüngeren Romantiker wird die Angst vor der Gefährdung des Individuums durch politische Einflüsse und gesellschaftliche Veränderungen. Viele Dichter suchen ihre Identität, indem sie sich an übergeordnete Ideen binden, wie den nationalen Kampf gegen Napoleon. Eine weitere Zuflucht besteht für sie in einer engen Verbin­ dung mit der Natur und der Sehnsucht nach dem vergangenen glücklichen Leben in ihr. Eichendorffs Erzählung „Aus dem Leben eines Taugenichts“, Gedichte wie „Sehnsucht“ oder seine Autobiographie „Erlebtes“ zeigen die­ se Motive besonders klar (4) . Die „Schwarze Romantik“: das Unheimliche und Gespensterhafte Die Idee von der Macht der Dichtung und der Kraft des Ich ein Unfug? Schon mitten in die frühromantische Anschauung von der ordnenden Kraft des Ich und der Macht der Kunst platzt eine anonyme „Bombe“. Der unter einem Pseudonym erschienene Roman „Nachtwachen. Von Bonaven­ tura“ (1804) macht sich über das poetische Programm der Frühromantik lustig und erklärt es für Illusion und Unfug. Das von Fichte so hoch geschätzte „Ich“ ist in diesem Roman erfüllt von schwärzestem Nihilismus und Pessimismus. Alle ethischen und religiösen und vor allem künstlerischen Werte sind für „Bonaventura“ in Wahr­ heit „Nichts“ . Auch in der romantischen Lyrik taucht das deprimierte, leidende Ich auf, dessen Wanderschaft nur ein Ziel mehr hat, den Tod. Der Gedichtzyklus „Die Winterreise“ mit dem berühmten Gedicht „Am Brunnen vor dem Tore“ von Wilhelm Müller (1794–1827) (5) ist dafür ein Beispiel. Die „Nachtseite“ der Romantik Unter dem Titel „Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft“ veröffentlicht der Arzt Gotthilf Heinrich Schubert 1808 ein Werk, das sich mit dem Unbewussten, dem Traum, der Schlafwandlerei befasst. Was bei Schubert wissenschaftliches Interesse für nicht rational erklärbare Phänomene war, wurde zu einem zentralen Thema der Dichtung von E. T. A. Hoffmann (1776–1822). Sein Werk ist einerseits geprägt von der Darstellung des Wunderbaren, wie in der Erzählung „Der goldene Topf“. Andererseits dominiert in vielen Werken das Un­ heimliche, Gespensterhafte. Horrorszenarien tun sich auf: Inzest, Satanismus, Vampirismus, Doppelgänger, Wahnvorstellungen. „Lebende“ Automaten tauchen auf. Sie zeigen Hoffmanns Reaktion auf die industrielle Welt, die den Menschen zur Maschine degradiert. Von den Harmoniebestrebungen der frühen Romantiker oder der Klassik ist bei Hoffmann nichts mehr übrig. Selbstüberschätzung, Zerstörungstrieb kennzeichnen viele seiner Figuren. Die Kluft zwischen Fantasie und Außenwelt, zwischen Ich und Wirklichkeit wird zum zentralen Thema seiner „Nachtstücke“, der „Phantasiestücke“, der Erzählsammlung „Die Serapionsbrüder“ mit der Erzählung „Das Fräulein von Scuderi“ (6) oder des Romans „Die Elixiere des Teufels“. Die „LebensAnsichten des Katers Murr“ zeigen die Risse zwischen der Welt der Kunst, die sich über den Alltag erhebt, und der Welt der „Spießbürger“, der „Philister“, mit ihren starren Richtlinien und Vorschriften. Der leseraum 1 Der eine sucht die blaue Blume, der andere wird Arzt Novalis: „Heinrich von Ofterdingen“ (1802) Besonders geachtet: der Roman Die höchste Stelle nimmt für die Romantiker der Roman ein. Er ist für sie die romantische Gattung schlechthin, die „Poesie der Poesie“ . In ihm finden alle poetischen Gattungen Platz: Gedichte, Erzählung, Märchen, Briefe, wissen­ schaftliche und philosophische Gedanken, Witz und Ironie. Für Novalis (Pseudonym für Friedrich von Hardenberg) bedeutet „Romantik“ überhaupt „Romankunst“. 161 DIe lIteraturübersIcht | Der leseraum Novalis Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verl gs öbv

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