Literaturräume, Schulbuch

158 DIe romantIk (1795–1835) Eine günstige Zeit für die Literatur Aber gerade diese Veränderungen fördern die Kreativität der Künstler. Die von Napoleon aus Frankreich ver­ bannte, in Berlin lebende Autorin Germaine de Staël, die sowohl mit den Romantikern als auch mit Goethe enge Verbindungen unterhielt, urteilte im Rückblick: „Diese Zerrissenheit Deutschlands aber […] war allen möglichen Versuchen, die Genie und Einbildungskraft wagen konnten, äußerst förderlich. Es herrschte in Bezug auf literarische […] Meinungen eine Art milde, friedliche Anarchie, die jedem gestattete, seine individuelle Anschauungsweise voll- ständig frei zu entwickeln.“ DIe lIteraturübersIcht Dichtung als „Zauberschlüssel“ zum Unbekannten Die frühe Romantik: Die Realität muss „romantisiert“ werden Das Unbekannte, Geheimnisvolle jenseits der Alltäglichkeit Das Ziel der frühen Romantik ist es, sich über das Alltäg­ liche zu erheben. Die Welt soll einen neuen Sinn, eine neue Qualität bekommen. Der Frühromantiker Novalis präzisiert in seinen „Fragmenten zur Poesie“ dieses Ziel: „Die Welt muss romantisiert werden. So findet man den ur- sprünglichen Sinn wieder. Romantisieren ist nichts anderes als eine qualitative Potenzierung [= Steigerung].“ Mittel die­ ser „Romantisierung“ ist die Dichtung. Die dichterische Schöpferkraft kann das gesamte Leben prägen und ihm „hohen Sinn“, „Würde“, „einen unendlichen Schein“ geben. Freilich ist diese Poesie weder rational zu definieren noch in Regeln zu fassen noch lehrbar, wie Novalis in den „Frag­ menten“ weiter ausführt: „Die Poesie ist […] un- beschreiblich […]. Wer es nicht unmittelbar weiß und fühlt, was Poesie ist, dem lässt sich kein Begriff davon beibringen. Poesie ist Poesie. […] Der Sinn für Poesie hat viel mit dem Sinn für Mystizismus gemein. Er ist der Sinn für das Eigen- tümliche, […] Unbekannte, Geheimnisvolle.“ „Mit der Poesie verändern wir die Welt“ Die Dichtung soll die Grenzen des Verstandes überschrei­ ten. Sie soll das Bewusstsein erweitern, die Grenzen zwi­ schen Glauben und Wissenschaft, Wissenschaft und Kunst, zwischen den einzelnen Künsten und zwischen Kunst und Religion aufheben und so unmittelbar das Le­ ben verändern. Friedrich Schlegel, Theoretiker der frühen Romantik, definiert dies in der von ihm und seinem Bruder gegründeten Zeitschrift „Athenäum“ (1798–1800): „Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie. […] Sie will und soll […] die Poesie lebendig und gesellig und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen […].“ Kunst ist Religion Die Romantiker beschränken den Begriff „Poesie“ nicht nur auf die Literatur. Auch Malerei, Musik, Religion, Er­ scheinungen der Natur, Liebe sind für sie „echte Poesie“ . Umgekehrt erhält bei den Frühromantikern die Literatur INFO Die Romantik: Phasen und Gruppen Die „Jenaer Romantik“ In Jena bildete sich um die Brüder August Wilhelm und Friedrich Schlegel ein Kreis, zu dem die Philosophen Johann Gottlieb Fichte und Friedrich Wilhelm Schelling und die Dichter Novalis und Ludwig Tieck gehörten. Nahe stand diesem Kreis auch Tiecks Freund Ludwig Heinrich Wackenroder. Zentrale Phase der Jenaer Romantik sind die Jahre 1796 bis 1801. Die Jenaer Romantik wird auch als frühe oder „Ältere Romantik“ bezeichnet. Die „Heidelberger Romantik“ Ab 1806 sammelte sich in Heidelberg eine weitere Autorengruppe um Achim von Arnim und Clemens Brentano. Zu ihnen stießen zeitweilig die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm und Joseph von Eichendorff. Die Heidelberger Romantik wird auch „Hochromantik“ genannt. Gruppenbeziehungen Allerdings ist diese geographische Gliederung nicht buchstäblich zu nehmen. Zwischen beiden Gruppen bestanden literarische Beziehungen, Berlin war lange ein Zentrum und gemeinsamer Treffpunkt. Auch E. T. A. Hoffmann arbeitete zeitweilig in Berlin. Dresden, Köln, München waren weitere Brennpunkte dieser letzten Phase der romantischen Bewegung, die man auch späte oder „Jüngere Romantik“ nennt. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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