Literaturräume, Schulbuch
154 3. faust-fenster Goethes „Faust“ und Goethes Widersprüche 1771 – Goethe und der Prozess der Susanna Margaretha Brandt 1771 war der Jurist Goethe Zuhörer beim Prozess gegen Susanna Margaretha Brandt, 24 Jahre alt, Vollwaise, Analphabetin, Hausmagd im drittklassigen Frankfurter Wirtshaus „Zum Einhorn“. Ein Gast, von dem sie nicht einmal den Namen wusste, hatte sie verführt. Schwangerschaft war die Folge. Am Tag der heimlichen Entbin dung wurde sie entlassen und tötete das Neugeborene in verzweifelter Lage, um „der Scham und dem Vorwurf der Leute zu entgehen“ . Sie flüchtete, wurde steckbrieflich gesucht, nach zwei Tagen gefunden, war dabei, wie das Protokoll euphemistisch bemerkt, „etwas krank“ . Nach monatelangem Prozess mit Folterdrohung wurde sie ent hauptet. Gerade die als Beisitzer fungierenden „Syndici“, Juristen und angesehene Bürger Frankfurts, hatten die Begnadigung verhindert. Wie die Akten berichten, wurde „unter beständigen Zurufen der Herren Geistlichen“ das Urteil vom Henker „durch einen Hieb glücklich und wohl vollzogen“ . Bis ins 18. Jahrhundert wurde eine solche Strafe durch Pfählen oder Lebendigbegraben vollstreckt. Die Enthauptung galt als Gnadenakt. 1783 – Goethe und der Prozess der Anna Catharina Höhne Am 11. April 1783 tötet die ledige Magd Anna Catharina Höhne aus dem zu Weimar gehörenden Dorf Tannroda ihren neugeborenen Sohn. In Weimar entscheidet der Staatsrat über die Todesstrafe. Goethe als Minister gehört ihm an. Seine Kollegen im „Geheimen Conseil“ sind uneins. Herzog Carl August ist für lebenslange Haft, will aber dem Beschluss des Staatsrates folgen. Goethes Stimme ist entscheidend. Goethe folgt der Staatsräson. Es wird „rätlicher sein“ , schreibt er am 4. November 1783, „die Todesstrafe beizubehalten“ . Drei Wochen später wird Höh ne hingerichtet. Man befiehlt, „zur Erhaltung guter Ordnung bei der bevorstehenden Hinrichtung […] 100 Mann Miliz und […] ein Kommando von Husaren“ abzustellen. Im „Urfaust“ hatte Goethe Gretchen im Kerker sagen lassen: „Erbarme Dich mein und lass mich leben! Ich bin so jung, so jung, und war schön und bin ein armes junges Mädchen.“ Als Minister zeigt Goethe kein Mitleid. Drei Jahre später wird die Todesstrafe für Kindesmord in Weimar abgeschafft. Beide Male das typische „Täterinnenprofil“ Die des Kindesmordes angeklagte Frau gehört in dieser Zeit fast immer einem bestimmten sozialen Typ an: un verheiratet, bis Ende Zwanzig, aus den untersten sozialen Schichten stammend und Dienstmagd. Das hieß unge regelte Arbeitszeit, geringer Lohn und die Unmöglichkeit, sich um das Kind während der Arbeit zu kümmern. AUFGABEN Wählen Sie unter den folgenden Arbeitseinladungen zu „Faust I“: Aufgaben zu Resümee und Vertiefung der Lektüre > Legen Sie anhand der „Faustübersicht“ ein Stichwortverzeichnis zu „Faust“ an, in dem Sie das für Sie Wesentliche festhalten. Fassen Sie die „Gelehrtentragödie“ zusammen, resümieren Sie die „Gretchen tragödie“! Aufgaben zu Einzelaspekten > Die berühmte „Gretchenfrage“ aus der Szene „Marthens Garten“ bezieht sich auf Fausts Religion. Lesen Sie diese Szene und fassen Sie Fausts Antwort zu den Themen „Glaube“ und „Gott“ zusammen! > Lesen Sie in der Studierzimmerszene, was Mephisto den einzelnen universitären Wissenschaften – Logik, Metaphysik (= Philosophie), Jus, Theologie, Medizin – vorwirft! > Vergleichen Sie den Charakter Gretchens mit dem der zweiten Frauenfigur des Dramas, Marthe Schwerdt lein. Lesen Sie dazu insbesondere die Szenen „Abend“, „Der Nachbarin Haus“ und „Garten“. Internetaufgabe > Machen Sie das „FaustQuiz“ unter http://www.zum.de/Faecher/D/BW/gym/faust/index.htm. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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