Literaturräume, Schulbuch
153 „Walpurgisnacht“, „Trüber Tag. Feld“, „Kerker“ – Fausts Obszönität, Gretchens Ende Sie ist von gespenstischen und teuflischen Umtrieben erfüllt, die Walpurgisnacht vom 30. April zum 1. Mai. He xen, Teufel reiten aus, um sich miteinander auf dem „Blocksberg“ im Harz zu vergnügen. Auch Faust feiert dort orgiastisch. Gretchen ist vergessen. Doch mitten im Treiben der Nacht erscheint ihm plötzlich ihr Bild. Sie sieht bleich wie eine Tote aus, die Augen starr, um den Hals ein „einzig rotes Schnürchen […], / Nicht breiter als ein Messerrücken!“ . Die Walpurgisnacht ist zu Ende. Faust sieht wieder klar. Auf einem Feld, an einem trüben Tag at tackiert er den Teufel. Der „Hund“ , das „abscheuliche Untier“ , hat ihm verheimlicht, dass Gretchen im Kerker ist. Die Szene ist in Prosa geschrieben. Das unterstreicht Fausts Außer-sich-Sein. Zauberrosse bringen Faust und den Teufel zum Kerker, der Schlüssel wird dem betäubten Wärter abgenommen. Bevor Faust Gretchens Zelle betritt, hört er sie singen. Ein neuer Mord offenbart sich, Gretchen hat ihr Kind ertränkt: Meine Mutter, die Hur’, Die mich umgebracht hat! Mein Vater, der Schelm, Der mich gessen hat! Mein Schwesterlein klein Hub auf die Bein’, An einem kühlen Ort; Da ward ich ein schönes Waldvögelein; Fliege fort, fliege fort! Faust betritt die Zelle Gretchens. Sie aber glaubt, der Henker hole sie zur Hinrichtung. Erst als Faust sie beim Namen ruft, erwacht sie, meint, sie sei in der Hölle, Faust rufe sie von außen. Schließlich erkennt sie Faust. Faust will sie aus dem Kerker holen, drängt zur Eile. Die Tür steht offen. Doch Gretchens Sinne verwirren sich, sie schickt Faust zum Teich, um das getötete Kind noch zu retten: „Geschwind! Geschwind! / Rette dein armes Kind.“ Sie sieht die Mutter, auf einem Stein sitzend, leblos mit dem Kopf wackelnd. Die Rhythmik der Verse löst sich auf, die Todesnot kennt kein gebundenes Sprechen mehr. Faust drängt: Faust: Der Tag graut! Liebchen! Liebchen! Margarete: Tag! Ja es wird Tag! der letzte Tag dringt herein; Sag niemand, dass du schon bei Gretchen warst. Weh meinem Kranze! Es ist eben geschehn! Wir werden uns wiedersehn; Aber nicht beim Tanze. Die Menge drängt sich, man hört sie nicht. Der Platz, die Gassen Können sie nicht fassen. Die Glocke ruft, das Stäbchen bricht. Wie sie mich binden und packen! Zum Blutstuhl bin ich schon entrückt. Schon zuckt nach jedem Nacken Die Schärfe, die nach meinem zückt. Stumm liegt die Welt wie das Grab! Faust: O wär’ ich nie geboren! Mephistopheles (erscheint draußen): Auf! oder ihr seid verloren. Unnützes Zagen! Zaudern und Plaudern! Meine Pferde schaudern, Der Morgen dämmert auf. Margarete: Was steigt aus dem Boden herauf? Der! der! Schick’ ihn fort! Was will der an dem heiligen Ort? Er will mich! Faust: Du sollst leben! Margarete: Gericht Gottes! dir hab’ ich mich übergeben! Mephistopheles (zu Faust) : Komm! komm! Ich lasse dich mit ihr im Stich. Margarete: Dein bin ich, Vater! Rette mich! Ihr Engel! Ihr heiligen Scharen, Lagert euch umher, mich zu bewahren! Heinrich! Mir graut’s vor dir. Mephistopheles: Sie ist gerichtet! Stimme (von oben) : Ist gerettet! Mephistopheles (zu Faust) : Her zu mir! (Verschwindet mit Faust) Stimme (von innen, verhallend): Heinrich! Heinrich! Wer hat jetzt die Wette gewonnnen? Aus dem „Kerker“ ihres Gewissens, der Religion und der Moral der Zeit kann Gretchen nicht heraus. Sie nimmt die Strafe auf sich. Die Stimme Gottes hat das Drama im Prolog eröffnet, eine himmlische Stimme „von oben“ beschließt das Stück. Gretchens Seele ist durch Gottes Güte gerettet. Für Faust aber geht das Drama weiter. Der Ausgang der Wette ist noch nicht entschieden, der Satz „Werd’ ich zum Augenblicke sagen: / Verweile doch! du bist so schön!“ ist noch nicht gesprochen. Die Entscheidung fällt in „Faust. Der Tragödie zweiter Teil“. 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 2 4 6 8 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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