Literaturräume, Schulbuch

149 Gott. Was bedeutet, jemanden Gott abspenstig zu machen? Es heißt, jemanden zur Trägheit zu verführen, denn „der Menschen Tätigkeit kann allzu leicht erschlaffen, / Er liebt sich bald die unbedingte Ruh […]“ , so meint Gott. Ein Mensch, der irrt, „solang’ er strebt“ , ist Gott viel lieber. Die Wette zwischen Gott und Mephisto ist geschlos­ sen, auch der „Himmel schließt, die Erzengel verteilen sich“ . Die „Gelehrtentragödie“ „Nacht“ – Fausts Verzweiflung und vergeblicher Beschwörungsversuch Goethe übernimmt für diese Szene weite Teile des Faust-Monologs aus dem „Urfaust“ – siehe S. 120 f. Faust ist in seinem Studierzimmer, er erinnert sich: Alle universitären Studien hat er durchlaufen. Zufrieden gestellt haben sie ihn nicht. Quantitatives Wissen hat er wohl anhäufen können. Andere, wie sein Gehilfe Wagner, sind damit zufrieden. Doch Faust nicht. Er möchte wissen, „was die Welt im Innersten zusammenhält“ . Aus diesem Wissens­ defizit hat er sich „der Magie ergeben“ , einer Praxis, die im 18. Jahrhundert in privaten Zirkeln nicht selten geübt wurde. Sie soll für Faust die dem Menschen gesetzten Erkenntnisschranken überwinden. Magische Bücher wie die des Nostradamus sollen ihm helfen. Doch sie helfen nicht. Sie fassen die Welt zwar in interessante Bilder, aber eben nur in Bilder. Fausts nächster Versuch: die Kommunikation mit dem Reich der „Geister“. In einem ma­ gischen Experiment beschwört er den „Erdgeist“. Doch auch aus dieser Beschwörung entsteht keine Erkenntnis. Der „Menschengeist“ kann das Wesen des „Erdgeists“ nicht begreifen, er kann sich höchstens wieder nur ein Bild von ihm konstruieren. Faust ist verzweifelt. Sein Blick fällt auf ein Fläschchen. Es enthält Gift: „[…] du einzige Phiole, / Die ich mit Andacht nun herunterhole! / In dir verehr’ ich Menschenwitz und Kunst. / Du Inbegriff der hol- den Schlummersäfte, / Du Auszug aller tödlich feinen Kräfte […].“ Da die Entgrenzung mit Wissenschaft und Magie nicht geglückt ist, will Faust Selbstmord begehen und sich aus der „Trauerhöhle“ des Körpers befreien. Faust setzt das Fläschchen an: „Der letzte Trunk sei nun, mit ganzer Seele, / Als festlich hoher Gruß, dem Morgen zugebracht!“ Doch da ertönen die Osterglocken. Sie und die Erinnerung an die freudigen Osterzeiten der Kindheit halten Faust vom Selbstmord ab. Die Suche nach Erkenntnis geht weiter. „Vor dem Tor“ – Osterspaziergang, Gesellschaftssatire und der Pudel Die österliche Natur vor der Stadt lockt zum Spaziergang: „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche / Durch des Frühlings holden, belebenden Blick; / Im Tale grünet Hoffnungsglück; / Der alte Winter, in seiner Schwäche, / Zog sich in rauhe Berge zurück.“ Alles ist auf den Beinen, Mädchen, Studenten, Soldaten, Bürger. Deren Freude: „Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen / Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei, / Wenn hinten, weit in der Türkei, / Die Völker auf einander schlagen. / Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus / Und sieht den Fluss hinab die bunten Schiffe gleiten; / Dann kehrt man abends froh nach Haus, / Und segnet Fried’ und Friedens- zeiten.“ Faust ist angesehen, er hat den Leuten mit seiner ärztlichen Kunst oft geholfen. Wagner beneidet ihn. Faust aber findet nicht zur Harmonie der Natur und der Menschen. Er bleibt der Zerrissene: „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, / Die eine will sich von der andern trennen; / Die eine hält, in derber Liebeslust, / Sich an die Welt mit klammernden Organen; / Die andre hebt gewaltsam sich vom Dunst / Zu den Gefilden hoher Ahnen.“ Es wird Abend. Man geht nach Hause. Faust fällt ein schwarzer Pudel auf, der ihn umkreist. Doch Wagner be­ schwichtigt: „Ein Hund, und kein Gespenst ist da. / Er knurrt und zweifelt, legt sich auf den Bauch. / Er wedelt. Alles Hundebrauch.“ Faust ist beruhigt. Doch in Wirklichkeit hat nach der Wette im Himmel nun das Spiel des Mephis- topheles um Fausts Seele auf der Erde begonnen. „Studierzimmer“ – Faust übersetzt die Bibel; die zweite Beschwörung Faust kehrt in sein Studierzimmer zurück. Der Pudel begleitet ihn. Er stört mit seinem Knurren die Übersetzung, an die sich Faust macht. Er möchte den Beginn des Johannesevangeliums in sein „geliebtes Deutsch“ übertragen. „Logos“ als Urwort und Urgrund der Schöpfung ist bei Johannes das Schlüsselwort. Faust übersetzt es nach lan­ ger Überlegung als „Tat“ . Doch nicht nur das Knurren wird unerträglich, auch der Pudel selbst verändert sich: „Schon sieht er wie ein Nilpferd aus.“ Faust beschwört ihn, will wissen, was in dem Tier steckt. Es ist Mephistophe­ les: „Ich bin der Geist, der stets verneint!“ , so stellt er sich vor. Er ist der Widersacher Gottes, die Finsternis, die ge­ gen das Licht kämpft. Für das 18. Jahrhundert ist der Teufel nicht nur Symbol für die Macht des Bösen in der Welt. Er ist vielfach noch unbestrittene Realität. Dass Goethe ihn gerade als Pudel erscheinen lässt, bringt die Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=