Literaturräume, Schulbuch
Aussicht Der offne Tag ist Menschen hell mit Bildern, Wenn sich das Grün aus ebner Ferne zeiget, Noch eh’ des Abends Licht zur Dämmerung sich neiget, Und Schimmer sanft den Klang des Tages mildern. Oft scheint die Innerheit der Welt umwölkt, verschlossen, Des Menschen Sinn von Zweifeln voll, verdrossen, Die prächtige Natur erheitert seine Tage Und ferne steht des Zweifels dunkle Frage. Mit Untertänigkeit Den 24. März 1671 Scardanelli. Das Angenehme dieser Welt … Das Angenehme dieser Welt hab’ ich genossen, Die Jugendstunden sind, wie lang! wie lang! verflossen, April und Mai und Julius sind ferne, Ich bin nichts mehr, ich lebe nicht mehr gerne! An Zimmern Die Linien des Lebens sind verschieden Wie Wege sind, und wie der Berge Grenzen. Was hier wir sind, kann dort ein Gott ergänzen Mit Harmonien und ewigem Lohn und Frieden. 139 Der leseraum 6 „Wir dünken uns frei, und der Zufall führt uns allgewaltig an tausend feingesponnenen Fäden fort.“ Heinrich von Kleist: „Das Erdbeben in Chili“ (1807) Später Ruhm, schwierige Einordnung Als Franz Kafka Kleists Erzählung „Michael Kohlhaas“ zu lesen beginnt, notiert er: „Den Anfang von ‚Michael Kohl- haas‘ gelesen […] Wild und schlecht und unvorsichtig […] gelesen. Und am Nachmittag zitterte ich schon vor Begier- de zu lesen, konnte kaum den Mund geschlossen halten.“ Thomas Mann charakterisiert Kleist als einen der „größ- ten, kühnsten […] Dichter deutscher Sprache, […] überhaupt sondergleichen, auch als Prosaist, als Erzähler, – völlig einmalig, aus aller […] Ordnung fallend, radikal […]“. Eugène Ionesco, Begründer des absurden Theaters: „Ich glau- be nicht, dass mir nach Shakespeare und Kleist noch irgendeine Lektüre von Theaterstücken gefallen hat.“ Doch die Literaturwissenschaft tut sich mit Kleists Einordnung auch heute noch schwer: „ Seit je haben die Lite- rarhistoriker ihre Sorgen mit diesem Dichter, der sich so wenig ihren Kategorien und Methoden einfügen lässt“, so einer der besten KleistKenner und Herausgeber seiner Werke. Kleist irritiert So wie auch heute noch die Literaturwissenschaft mit der Einordnung Kleists in die literarische Systematik Pro bleme hat, so irritierend wirkte Kleist auch auf seine Zeit. Die Figuren in Kleists Werk sind weit entfernt von Maß und Harmonie. Sie sind in Auseinandersetzungen, Fehldeutungen und Leidenschaften verstrickt. Auch Staat und Familie sind bei Kleist nicht nur wider sprüchlich, sondern für den Menschen oft tödlich. Kleists Werk fand wenig Anerken nung. Nur Einzelne schätzten ihn, wie Wieland, der nach der Lektüre eines KleistDramas schrieb: „Von diesem Au- genblicke war bei mir entschieden, Kleist sei dazu geboren, die große Lücke unserer […] Literatur auszufüllen, die (nach meiner Meinung wenigstens) selbst von Goethe und Schiller noch nicht ausgefüllt worden ist […].“ Doch Wieland war eine Ausnah me, Kleists Stücke wurden kaum gespielt. „Der zerbrochene Krug“ wurde zwar von Goethe aufgeführt, nachdem Kleist ihn „auf den Knien seines Herzens“ darum ge Die Literaturzeitschriften INFO Kleist versucht mit Journalen an die Tradition der klassischen Kunstund Literaturzeitschriften anzuknüpfen. Diese boten Textabdrucke und Rezensionen zu Neuerscheinungen sowie Aufsätze über literarische und künstlerische Themen. Zu den bedeutendsten gehörten der „Teutsche Merkur“ (Wieland), die „Thalia“ (Schiller), die „Horen“ (Schiller). Doch die Zeitschriften waren trotz des Einsatzes von wichtigen Verlegern, wie Bertuch, Göschen oder Cotta, die sich auch um die Werkausgaben der Klassiker kümmerten, nicht kostendeckend zu führen. Eine ähnliche Funktion erfüllten die „Musenalmanache“. Sie boten jungen Autoren Publikationsmöglichkeiten. Gerade Goethe und Schiller nützten die Zeitschriften auch zu heftigen Spottgedichten gegen die literarische Konkurrenz. Ihre etwa 900 scharfen Epigramme wurden von ihnen euphemistisch „Xenien“ – Gastgeschenke – genannt. 2 4 6 8 10 12 2 4 2 4 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum es V rlags öbv
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