Literaturräume, Schulbuch
er später Hölderlin gewährt, schreibt Goethe an Schiller: „Gestern ist auch Hölterlein bei mir gewesen, er sieht etwas gedrückt und kränklich aus. […] Ich habe ihm besonders geraten kleine Gedichte zu machen […].“ Goethes Überheblichkeit trifft Hölderlin schwer. In einem Brief Hölderlins an einen Freund heißt es: „Ach! Lieber! es sind so wenige, die noch Glauben an mich haben, und die harten Urteile der Menschen werden wohl so lange mich herum- treiben, bis ich am Ende, wenigstens aus Deutschland, fort bin.“ Ein Roman provoziert die Deutschen Hölderlins zweibändiger Briefroman „Hyperion oder der Eremit in Griechenland“ spielt vor dem Hintergrund des modernen Griechenland, wo ab 1770 die Griechen um ihre Befreiung von der türkischen Herrschaft kämpften. Hyperion beschäftigt sich mit der Antike. Dies lässt ihn das unbefriedigende Leben der Gegenwart spüren und erweckt in ihm den Wunsch, einen Zustand herbeizuführen, in dem Mensch, Natur und Kunst in Harmonie ver bunden sind. Das Basisübel der neuen Zeit sieht Hyperion in der Reduzierung des Menschen auf eine bestimmte Tätigkeit, einen nützlichen Zweck. Seelenlosigkeit herrscht, sie bewirkt Entfremdung und Verdinglichung der Menschen, was ihnen selbst nur selten bewusst ist. Nur der Dichter, ausgestattet mit dem empfindsamen Ge müt, das Hölderlin den „Genius“ nennt, spürt den Verlust der Ganzheitlichkeit, die einst die Menschen im klas sischen Griechenland ausgezeichnet habe. Die Dichter jedoch werden behandelt „wie Fremdlinge im eigenen Hause“ . Im letzten Brief an seinen deutschen Freund Bellarmin beklagt sich Hyperion in heftigen Worten über seine Erfahrungen mit Deutschland, das er zu Studienzwecken besucht: 137 der leseraum Es ist ein hartes Wort und dennoch sag ichs, weil es Wahrheit ist: ich kann kein Volk mir denken, das zerrissner wäre, wie die Deutschen. Handwerker siehst du, aber keine Menschen, Denker, aber keine Menschen, Priester, aber keine Menschen, Herrn und Knechte, Jungen und gesetzte Leute, aber keine Menschen – ist das nicht, wie ein Schlachtfeld, wo Hände und Arme und alle Glieder zerstückelt untereinander liegen […]? Deine Deutschen […] bleiben gerne beim Notwendigsten, und darum ist bei ihnen auch so viele Stümperarbeit und so wenig Freies, Echterfreuliches. Doch das wäre zu ver- schmerzen, müssten solche Menschen nur nicht fühllos sein für alles schöne Leben, ruhte nur nicht überall der Fluch der gottverlassnen Unnatur auf solchem Volke. Wenig gelesen Die Rezeption des „Hyperion“ war gering. Eine so heftige Kritik an einem ganzen Volk konnte den Roman zu seiner Zeit nicht beliebt machen. Auch die teils gleichzeitig mit dem „Hyperion“, teils etwas später entstandenen großen Hymnen mit ähnlicher Thematik wie „Brot und Wein“, „An die Deutschen“, „Wie wenn am Feiertage“ und das Fragment gebliebene Drama „Empedokles“ blieben ohne große Resonanz. Hölderlins Liebe, Scheitern und eines der berühmtesten Gedichte der Weltliteratur Hölderlin war zwar dem Wunsch seiner Mutter nachgekommen, Theologie zu studieren, Pfarrer zu werden lehnte er allerdings ab. So kam er als „Hofmeister“ – Hauslehrer bei begüterten Familien – 1795 nach Frankfurt zur Bankiersfamilie Gontard. Susette Gontard war eine begeisterte Leserin des 1774 veröffentlichten „Hyperion fragments“. Hölderlin wird gut aufgenommen. Doch während seine Familie nur eine Schilderung seiner ausge zeichneten persönlichen Stimmung bekommt, schreibt er einem Freund gegenüber 1776 deutlicher: „Ich bin in einer neuen Welt. […] Es gibt ein Wesen auf der Welt, woran mein Geist Jahrtausende verweilen kann und wird. […] Du kannst mir glauben, auf mein Wort, dass selten so etwas […] wieder gefunden wird in dieser Welt.“ Die Beziehung zu Susette Gontard hat begonnen. Unter dem Eindruck der Liebe zu Susette Gontard verändert Hölderlin den Namen der weiblichen Hauptfigur aus dem „Hyperionfragment“, Melite, in Diotima. Den Namen übernimmt Hölderlin aus Platons Dialog „Symposion“, in dem Diotima den Sokrates über das Wesen des Eros belehrt: Eros ist Liebe zur Schönheit und Weisheit. Natürlich kann die Beziehung nicht bestehen. Zudem fühlt sich Hölderlin vom Hausherrn zurückgesetzt, als Bediensteter statt als Dichter und Erzieher behandelt, als das „fünfte Rad am Wagen“ . 1798 verabschiedet der Bankier Gontard Hölderlin aus seinem Haus. Unter dem Eindruck des Scheiterns seiner Beziehung zu Susette Gontard entsteht im gleichen Jahre ein Gedicht, das in kei ner Lyriksammlung fehlt: 2 4 6 8 10 12 14 16 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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