Literaturräume, Schulbuch
Und Goethe heute? Was könnte die Klassik, insbesondere Goethe, heute, für uns bedeuten? Der Literaturwissenschafter Lothar Ehr lich fasst die mögliche Bedeutung Goethes so zusammen: „ [S]eine dezidiert kritische Beurteilung von Geschichte und Politik, sein ambivalentes 1 Verhältnis zum ökonomischen und technischen Fortschritt, seine tiefe Skepsis gegen- über einer durch politischen Aktivismus veränderten und beschleunigten modernen Entwicklung, […] seine Abnei- gung gegenüber geschlossenen weltanschaulichen Konzepten oder gar Ideologien, […] [sein Hinweis] auf ethische Grundwerte wie Freiheit, Liberalität, Pluralität, Humanität.“ 135 Der leseraum 1 ambivalent: zwiespältig 4 „Die Kunst, stets fröhlich zu sein“ Jean Paul: „Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal“ (1793) Der Humorist der Epoche Seine Romane und Erzählungen tragen so komplizierte Titel wie „Blumen, Fruchtund Dornenstücke oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenad vokaten F. St. Siebenkäs“. So komplex wie die Titel sind auch Stil und Inhalt seiner Romane: viele verschiedene Handlungsstränge, gelehrte Anspie lungen, Exkurse, Ironie, Vor, Nach und Zwischenreden kennzeichnen Jean Pauls Epik. Aufgrund dieser Eigenart wird Jean Paul heute wenig gelesen. Im Gegensatz zu Hölderlin oder Kleist war er zu seiner Zeit allerdings sehr er folgreich. Weder Idealismus noch Flucht in die Idylle Im Idealismus Schillers und Goethes sieht Jean Paul die Gefahr, den Kontakt zur Realität zu verlieren. Nach anfänglicher Begeisterung für die beiden wird Jean Paul zu deren scharfem Kritiker. Goethe sieht er als „Gott […], kalt, einsilbig“ . Aber genauso wenig akzepiert Jean Paul die Flucht in die Idylle, um sich aus der Wirklichkeit fortzuschwindeln. Die wirklich humanistische Art zu leben formuliert der Autor in der Vorrede zum Roman „Leben des Quintus Fixlein“: Ich konnte nie mehr als drei Wege, glücklicher (nicht glücklich) zu werden, auskundschaften. Der erste, der in die Höhe geht, ist so weit über das Gewölke des Lebens hinauszudringen, dass man die ganze äußere Welt mit ihren Wolfsgruben, Beinhäu- sern und Gewitterableitern von weitem unter seinen Füßen nur wie ein eingeschrumpftes Kindergärtchen liegen sieht. – Der zweite ist, gerade herabzufallen ins Gärtchen und da sich so einheimisch in eine Furche einzunisten, dass, wenn man aus seinem warmen Lerchennest heraussieht, man ebenfalls keine Wolfsgruben, Beinhäuser und Stangen, sondern nur Ähren erblickt, deren jede für den Nestvogel ein Baum und ein Sonnen- und Regen- schirm ist. Der dritte endlich – den ich für den schwersten und klügsten halte – ist der, mit den beiden andern zu wechseln. Wutz, der Lebenskünstler Die kompakteste Erzählung des Autors, der mit wahrem Namen Johann Paul Friedrich Richter hieß und sich das „Jean“ wegen des von ihm verehrten Rousseau zulegte, ist ohne Zweifel der dem Roman „Die unsichtbare Loge“ als selbständige Erzählung angefügte, gerade 30 Seiten umfassende „Wutz“. Wutz – der Vorname Maria wurde bis ins 20. Jahrhundert manchmal auch männlich gebraucht – ist ein Lebenskünstler, der den „dritten“ Weg geht. Dazu hat er seit seiner Jugend Verhaltensparagraphen entwickelt. Hier Ausschnitte aus drei Paragraphen: Jean Paul 2 4 6 8 10 12 14 16 AUFGABE > Geben Sie die hier angeführte mögliche Bedeutung Goethes in eigenen Worten wieder! Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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