Literaturräume, Schulbuch
Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht, Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden, Wenn unerträglich wird die Last – greift er Hinauf getrosten Mutes in den Himmel Und holt herunter seine ewgen Rechte, Die droben hangen unveräußerlich Und unzerbrechlich wie die Sterne selbst – Der alte Urstand der Natur kehrt wieder, Wo Mensch dem Menschen gegenübersteht – Zum letzten Mittel, wenn kein andres mehr Verfangen will, ist ihm das Schwert gegeben – Der Güter höchstes dürfen wir verteidgen Gegen Gewalt – Wir stehn vor unser Land, Wir stehn vor unsre Weiber, unsre Kinder! 133 der leseraum Doch Tell – übrigens eine sagenhafte, historisch nicht belegte Figur –, den man für die Sache des Widerstands gewinnen will, winkt ab. Er hofft, dass sich die Tyrannei bald selbst auflösen wird: „Die schnellen Herrscher sinds, die kurz regieren.“ Sein Rat: „Ein jeder lebe still bei sich daheim / Dem Friedlichen gewährt man gern den Frieden.“ Tell wird erst zum Widerständler, nachdem Gessler, der schlimmste Landvogt von allen – auch er ist historisch nicht belegt –, ihn gezwungen hat, mit der Armbrust einen Apfel vom Kopf seines Sohnes zu schießen. Der Grund: Tell hatte den auf einer Stange aufgepflanzten Hut des Vogts nicht gegrüßt. Tell rechtfertigt vor sich selbst den Plan, Gessler zu töten: Ich lebte still und harmlos – Das Geschoß War auf des Waldes Tiere nur gerichtet, Meine Gedanken waren rein von Mord – Du hast aus meinem Frieden mich heraus Geschreckt, in gärend Drachengift hast du Die Milch der frommen Denkart mir verwandelt, Zum Ungeheuren hast du mich gewöhnt – Wer sich des Kindes Haupt zum Ziele setzte, Der kann auch treffen in das Herz des Feinds. Die armen Kindlein, die unschuldigen, Das treue Weib muss ich vor deiner Wut Beschützen, Landvogt – Da, als ich den Bogenstrang Anzog – als mir die Hand erzitterte – Als du mit grausam teufelischer Lust Mich zwangst, aufs Haupt des Kindes anzulegen – Als ich ohnmächtig flehend rang vor dir, Damals gelobt ich mir in meinem Innern Mit furchtbarem Eidschwur, den nur Gott gehört, Dass meines nächsten Schusses erstes Ziel Dein Herz sein sollte – […]. Tells Attentat Tell wird von Gessler verhaftet, kann sich jedoch befreien, lauert Gessler auf und tötet ihn. Tells Motive sind zwar persönlicher Natur, doch seine Tat wird politisch wirksam. Sie löst einen Aufstand aus, der schnell und unblutig Erfolg hat und auch die Kreise des Adels erreicht. Die Schlussszene: Eine Adelige verzichtet auf ihr Geburtsvor recht und bittet Bürgerin werden zu dürfen, ein Adeliger gibt seine Diener frei: „Und frei erklär ich alle meine Knechte.“ Kein großes Blutvergießen Zumindest auf der Bühne ist eine politische Entwicklung zu einer gerechten Gesellschaft möglich. Die blutige Revolution ist nicht nötig, Rechtschaffenheit setzt sich durch. Da für Schiller das Theater die wirksamste Kraft ist, Verhalten zu ändern und Einsicht zu vermitteln, drückt „Wilhelm Tell“ auch Schillers Optimismus aus, gesell schaftliche Veränderungen könnten auf friedliche Weise mit Hilfe der Kunst zu einem „ästhetischen Staat“ füh ren, in dem sich persönliche Freiheit und gesellschaftliche Solidarität verbinden: „Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und Gefahr“ , so lautet das Gelöbnis der Schweizer. 2 4 6 8 10 12 14 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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