Literaturräume, Schulbuch
Ich flehe dich um drei Tage Zeit, Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit 1 , Ich lasse den Freund dir als Bürgen, Ihn magst du, entrinn ich, erwürgen.“ Da lächelt der König mit arger List Und spricht nach kurzem Bedenken: „Drei Tage will ich dir schenken. Doch wisse! Wenn sie verstrichen, die Frist, Eh du zurück mir gegeben bist, So muss er statt deiner erblassen, Doch dir ist die Strafe erlassen.“ 131 Der leseraum 12 14 16 18 20 Treten Sie eine Zitatenreise zu Schiller an! INFO „Es ist bei Schillern jedes Wort praktisch, und man kann ihn im Leben überall anwenden.“ So beschreibt Goethe die Sprache Schillers, des meistzitierten deutschen Autors. Dass mit der „Dummheit selbst die Götter vergebens kämpfen“ , dass der „kluge Mann vorbauen soll“ oder „Raum ist in der kleinsten Hütte für ein glücklich liebend Paar“ , ist weithin bekannt. Aber dem Sprach schöpfer Schiller verdankt die Sprache auch plastische Ausdrücke wie „Donner und Doria, Kirchhofsruhe, leben und leben lassen, das ewig Gestrige, man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, Bretter, die die Welt bedeuten, was da kreucht und fleucht …“ . Blättern Sie in einem Lexikon für Zitate und „Geflügelte Worte“ oder in dem Band „Schiller für Zeitgenossen“ (2004) SchillerZitate nach und beginnen Sie so Ihre Reise zu Schiller von den Zitaten zur Lektüre seiner Balladen, Dramen, Schriften. Aktion pur In diese Frist von drei Tagen packt Schiller eine geradezu filmreife Aktionsdichte. Die Heirat der Schwester ist geregelt, die Rückreise kann beginnen. Doch Sintflutregen, Überschwemmung, Brückeneinsturz, Raubüberfall, Sonnenglut und Durstdelirien stellen sich Damon entgegen. Aber er gibt nicht auf, der Gedanke an den Freund treibt ihn an. Der dritte Tag ist da. Hier die letzten drei von insgesamt 20 Strophen: Und die Sonne geht unter, da steht er am Tor Und sieht das Kreuz schon erhöhet, Das die Menge gaffend umstehet, An dem Seile schon zieht man den Freund empor, Da zertrennt er gewaltig den dichten Chor: „Mich, Henker!“, ruft er, „erwürget! Da bin ich, für den er gebürget!“ Und Erstaunen ergreifet das Volk umher, In den Armen liegen sich beide Und weinen vor Schmerzen und Freude. Da sieht man kein Auge tränenleer, Und zum Könige bringt man die Wundermär, Der fühlt ein menschliches Rühren, Lässt schnell vor den Thron sie führen. Und blicket sie lange verwundert an. Drauf spricht er: „Es ist euch gelungen, Ihr habt das Herz mir bezwungen, Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn, So nehmet auch mich zum Genossen an, Ich sei, gewährt mir die Bitte, In eurem Bunde der Dritte.“ Freude an der friedlichen Wende Das Thema der politischen Wende mit friedlichen Mitteln, ohne Revolution, ohne Mord, mit idealisierten Personen, traf, fünf Jahre nach der Enthauptung des französischen Königs Ludwig XVI., den Geschmack des Pu blikums. Die Ballade wurde mit Begeisterung aufgenommen. 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 1 freien: Hochzeit vorbereiten. Die Vorbereitung der Hochzeit der Schwester war in der Antike eine wichtige Aufgabe; die Ehe gab den Frauen soziale Sicherheit. AUFGABEN > Geben Sie das Geschehen der ersten drei Strophen in kurzen Hauptsätzen wieder! Sie erleben so die dichte Gestaltung der Ballade, die eine Literaturwissenschafterin zur Frage veranlasste: „Ist je in einer einzigen Balladenstrophe so viel passiert wie in den ersten sieben Zeilen der Bürgschaft?“ Ein Gestaltungsbeispiel: 1. Damon will Dionysos töten. 2. Damon wird gefangen. 3. … > Lesen Sie die ersten drei Strophen nochmals, am besten laut. Mit welchen stilistischen Mitteln (Satzbau beachten!) erreicht Schiller eine spürbare Beschleunigung und Verdichtung des Geschehens? Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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