Literaturräume, Schulbuch

Das hohe Ziel der Literatur Kunst und Literatur haben, wie Schiller in sei­ nem Werk „Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen“ (1793) schreibt, zum Ziel, „das Ganze unserer sinn- lichen und geistigen Kräfte in möglichster Har- monie auszubilden“ und den Menschen von der „Tierheit“ zur „Menschheit“ zu führen. Möglich ist das, weil der Mensch nach Schönheit sucht. Aus diesem ästhetischen Gefühl entsteht mit Hilfe der Kunst der „moralische“ Mensch, der das Humanitätsideal der Klassik verwirklicht und das „Gute, Wahre und Schöne“ anstrebt. In der „Schönen Seele“ verbinden sich Gefühl und Vernunft, Pflicht und Neigung. Doch nicht nur der Einzelmensch, auch Staat und Gesellschaft können durch die Kunst zu „reinen idealischen“ Wesen werden. Das macht auch gewaltsames, revolutionäres Auftreten gegen den Staat überflüssig. Kunst bewirkt, mit den Worten Schillers, eine „Beförderung allgemeiner Glückseligkeit“ . Humanität ist nichts Automatisches Dass Humanität etwas ist, was vom Menschen erst erworben und mit ständigem Bemühen erhalten werden muss, wird von Herder in seinen „Briefen zur Beförderung der Humanität“ (1793–97) deutlich formuliert: 127 DIe lIteraturübersIcht Wilhelm von Humboldt – ein wichtiger Wegbegleiter INFO Als Anthropologe, Sprachwissenschafter, Reorganisator des Bildungssystems ist Wilhelm von Humboldt (1767–1835) ein wichtiger Denkund Gesprächspartner innerhalb der Klassik. Auch Humboldt sieht die Formung des Menschen als wichtigstes Ziel: „Der wahre Zweck des Menschen […] ist die höchste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen.“ Alexander von Humboldt, sein Bruder, ist einer der großen Forschungsreisen­ den der Zeit. Humanität ist der Charakter unsres Geschlechts; er ist uns aber nur in Anlagen angeboren und muss uns eigentlich angebildet werden. Wir bringen ihn nicht fertig auf die Welt mit; auf der Welt aber soll er das Ziel unsres Bestrebens, die Summe unsrer Übungen, unser Wert sein […]. Humanität ist der Schatz und die Ausbeute aller menschlichen Bemühungen […]. Die Bildung zu ihr ist ein Werk, das unablässig fortgesetzt werden muss, oder wir sinken zur rohen Tierheit, zur Brutalität zurück. Goethes Drama „Iphigenie auf Tauris“ (1) , Schillers „Don Carlos“ und seine Ballade „Die Bürgschaft“ (2) zeigen beispielhaft das humane Anliegen der Klassik. Mit „Wilhelm Tell“ (3) , seinem letzten Drama, beschreibt Schiller das Idealbild einer humanen politischen Gemeinschaft. Nicht nur Goethe und Schiller Die Literaturgeschichte des 19. Jahrhunderts erhob Goethe und Schiller zu den alleinigen Repräsentanten der Klassik. Ab den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde sich die Wissenschaft jedoch bewusst, dass viele Werke Goethes und Schillers gar nicht nach klassischen, an der Antike orientierten Maßstäben beur­ teilt werden könnten. Dazu gehören etwa Goethes „Faust“, die Romane „Die Wahlverwandschaften“ und „Wil­ helm Meisters Wanderjahre“ oder Schillers „Die Jungfrau von Orleans“, die der Autor selbst mit dem Untertitel „Eine romantische Tragödie“ versah. Überdies hatte die Konzentration auf den Begriff „Klassik“ im 19. Jahrhun­ dert auch zur literaturgeschichtlichen Vernachlässigung anderer Autoren geführt, die zwar ungefähr zeitgleich mit Goethe und Schiller schrieben, aber mit dem Begriff „klassisch“ nicht etikettierbar waren. Dazu gehören Jean Paul (1763–1825), dessen Erzählung „Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal“ (4) Sie als Beispiel finden, Friedrich Hölderlin (1770–1843) mit dem Roman „Hyperion“ und seinen späten Gedichten (5) , Heinrich von Kleist (1777–1811), von dem „Das Erdbeben in Chili“ ausführlich präsentiert wird (6) , oder Johann Peter Hebel (1760–1826). Der „Geist der Goethezeit“ Aus diesem Grund wurden von der Wissenschaft zusätzliche Bezeichnungen vorgeschlagen. Die Periode von 1786 bis 1805 mit Goethe und Schiller wird von manchen auch als „Weimarer Hochklassik“, oder „Weimarer Ex­ periment“ bezeichnet. Der Erste, der in der gesamten Dichtung der Zeit bis zu Goethes Tod eine Auseinanderset­ zung mit Goethe sah, war Heinrich Heine (1797–1856). Er sprach von einer „Goetheschen Kunstperiode“. Heine betonte zwar die zentrale Stellung der „Weimarer Klassiker“, gab aber auch anderen Autoren der Zeit mehr Ge­ wicht. Manche Wissenschafter/Wissenschafterinnen sehen heute die Epoche bis Goethes Tod trotz verschie­ dener Strömungen als Einheit und verwenden zu deren Charakterisierung den Begriff „Geist der Goethezeit“. 2 4 6 8 10 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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