Literaturräume, Schulbuch

124 DIe „ WeImarer klassIk“ (1786/1794–1805) unD Der „ geIst Der goethezeIt“ (bIs 1832) Beginn und Ende der Weimarer Klassik Als Beginn der Klassik werden von der Wissenschaft je nach Standpunkt zwei verschiedene Daten angesehen: der Beginn von Goethes Reise nach Italien im Jahr 1786, in das Land der klassischen Antike, oder der Beginn der Freundschaft zwischen Goethe und Schiller 1794. Als Ende gilt Schillers Tod 1805. Wieso gerade Weimar? Im Dezember 1774 besucht der Erbprinz Carl August von SachsenWeimarEisenach Goethe in Frankfurt. Er möchte den Dichter des „Werther“ sehen. Das Gespräch beeindruckt den Prinzen, er lädt Goethe ein, nach Weimar zu ziehen. Der damals schon berühmte Goethe folgt der Einladung in die politisch unbedeutende Stadt. Ein „unseliges Mittelding“ zwischen Stadt und Dorf, so nennt Herder die Stadt, deren 6000 Bewohner zu 80 % Bauern, Handwerker und Tagelöhner sind. Zum Vergleich: Berlin hat um diese Zeit ungefähr 150.000 Einwohner. Das Herzogtum selbst ist gerade 2000 km 2 groß. Satirische Geister machen sich über diese Kleinstaaten lustig, wo man nichts kann, als mit dem „lieben Vieh auf allen Vieren die Wälder zu durchkriechen und sich in einem hohlen Baum mit Pfützenwasser und Eicheln zu mästen“ . Bemerkenswerte Frauen Es ist eine Frau, der Weimar den Aufstieg zur herausragenden Literaturstadt der Zeit verdankt. Die Herzogin Anna Amalia begeistert sich schon früh für Literatur, Philosophie, Musik, Theater. Als sie nach dem Tod ihres Mannes mit 19 Jahren die Herrschaft antritt, ist Weimar ein heruntergewirtschaftetes Herzogtum. Anna Amalia reformiert als Erstes das Schulund Sozialsystem. Weimar wird einer der wenigen Staaten, in denen es Gesetz ist, keine Untertanen als Soldaten zu verkaufen. Zur Unterstützung holt sie sich bedeutende Kräfte von außen. Be­ sonders wichtig war ihre 1772 getroffene Entscheidung, Christoph Martin Wieland als Lehrer für ihren Sohn Carl August nach Weimar zu berufen. Auf Einladung von Carl August folgt 1775 Goethe, nicht in erster Linie als Dich­ ter, sondern als Ratgeber in privaten und politischen Angelegenheiten. Mit Empfehlung Goethes kommt 1776 Herder als Prediger. Mit großzügigen Förderungen des Herzogs entwickelt sich auch die Universität des Landes in Jena, wo Schiller ab 1788 lehrt. Es folgen die Philosophen Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, August Wilhelm Schlegel und Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Zentrum des geistigen Lebens ist Goethes Haus am Frauenplan, bald Besuchsziel zahlreicher Persönlichkeiten aus dem Inund Ausland. Aber auch die Salons von Frauen im Herzogtum Weimar wurden zu wichtigen Orten für Literatur und Philo­ sophie. So etwa trafen einander im Haus von Sophie Mereau (1760–1806) regelmäßig Schiller, Herder und Jean Paul. Schiller erkannte Mereaus schriftstellerisches Talent und förderte sie. Sophie Mereau war eine gesuchte Übersetzerin und veröffentlichte Erzählungen, Gedichte und Romane, in denen sie das Recht der Frau auf freie Liebeswahl und Partnerbeziehung forderte. Mereau war eine der ersten Autorinnen, die von ihrer literarischen Tätigkeit leben konnten. Auch das Weimarer Haus von Johanna Schopenhauer (1766–1838) zählte zu den wich­ tigen Treffpunkten der Klassik. DIe lIteraturübersIcht Humanität als Ziel – und Dichter, die es schwer haben gegen Goethe und Schiller Goethes Wandlung zum Klassiker Als 1787 die erste Gesamtausgabe der Werke Goethes begonnen wurde und auch „Werther“ aufgenommen werden sollte, überarbeitete Goethe das Werk sprachlich, um allzu deutliche Spuren des emotionalen Stils seiner Entstehungszeit zu tilgen. Sprachliche und stilistische Freiheiten wurden eingeebnet und dem konventionellen Sprachgebrauch angepasst. So wurde zum Beispiel die im Sturm und Drang beliebte starke Deklination von Eigennamen ausgemerzt, aus den „Leiden des jungen Werthers“ wurden die „Leiden des jungen Werther“. Goethe distanzierte sich von seiner eigenen SturmundDrangPhase. Ihm war bewusst, in eine neue Periode seiner lite­ rarischen Entwicklung eingetreten zu sein. Ähnliche Veränderungen nahm Goethe an vielen Jugendgedichten Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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