Literaturräume, Schulbuch

Ursprünglich „Wirr-Warr“ INFO Das 1777 aufgeführte, ursprünglich „WirrWarr“ betitelte, dann in „Sturm und Drang“ umbenannte Drama von Friedrich Maximilian Klinger (1752–1831) gab der Epoche den Namen. Das Stück baut auf dem Motiv von „Romeo und Julia“ auf und verlegt es in den amerikanischen Unabhän­ gigkeitskrieg. Klinger gibt dem Familienkon­ flikt allerdings ein gutes Ende. sturm unD Drang (1770–1785/90) Emanzipation für die Vernunft UND das Gefühl 1770 erste Begegnung Goethes mit Herder in Straßburg: Gefühl und Subjektivität müssen in der Dichtung Platz haben; Begeisterung für Shakespeare und die Literatur des „Volkes“. 1785–90 Wandlung vom kritischen und emotionalen „Sturm und Drang“Stil Schillers und Goethes zu Maß und Harmonie der Klassik. 1791 letztes typisches Werk der Epoche: Klinger: „Fausts Leben, Taten und Höllenfahrt“. 101 Das funDament Der Widerspruch der Jungen Gegen die „Papierkultur“ Die Dominanz von Verstand und Vernunft in der Aufklärung deckte sich nicht mit den Vorstellungen, die viele junge Menschen in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts von ihrem Leben und der Literatur hatten. Sie schätzten zwar die Vernunft, kritisierten aber ihre Ausschließlichkeit und verspotteten die „Papierkultur“ der Aufklärer und ihre „mechanische kalte Welt“ . Das Resultat der Ausschließlichkeit der Vernunft: „Wir sehen und fühlen kaum mehr, sondern denken und grübeln nur.“ Mit diesen Worten fasst Johann Gottfried Herder (1744–1803), der philosophische Anreger des Sturm und Drang, seine Diagnose zusammen. Verstand und Vernunft haben den Menschen von der Natur entfremdet, ihn gelähmt und deformiert: „Die Natur wirkt durch Sinne und Leiden- schaften. Wer ihre Werkzeuge verstümmelt, wie mag der empfinden?“ , fragt provozierend der zweite Förderer der jungen „Stürmer und Dränger“, Johann Georg Hamann (1730–88). Und Goethe betont im Rückblick auf seine SturmundDrangPeriode: „Die literarische Epoche, in der ich geboren bin, entwickelte sich aus der vorhergehenden durch Widerspruch.“ Leben im Einklang mit der Natur Die Kritik, dass die Betonung des Verstandes die Menschen von der Natur getrennt habe und in der Gesellschaft der Mensch sich selbst und den anderen fremd werde, übernehmen die Dichter des Sturm und Drang von Jean­ Jacques Rousseau. Um im Einklang mit sich und den anderen zu sein, müsse der Mensch im Einklang mit der Natur leben und seinen Gefühlen und Instinkten mehr folgen als dem Verstand. In „Emile oder über die Erzie­ hung“ drückt Rousseau seine Zivilisationskritik so aus: „Alles, was aus den Händen des Schöpfers kommt, ist gut; alles entartet unter den Händen des Menschen.“ Diese Gesellschaftskritik fasziniert insbesondere den jungen Her­ der. Er sieht als einer der ersten die Gefahr, dass eine ausschließlich auf wirtschaftlichen Gewinn ausgerichtete europäische Zivilisation weltweite Zerstörungen provoziert: Unser System des Handels! […] In Europa ist die Sklaverei ab­ geschafft, weil berechnet ist, wie viel diese Sklaven mehr ko­ steten und weniger brächten als freie Leute: nur eins haben wir uns noch erlaubt, drei Weltteile als Sklaven zu brauchen, […] in Silbergruben und Zuckermühlen zu verbannen – aber das sind nicht Europäer, nicht Christen, und dafür bekommen wir Silber und Edelgesteine, Gewürze, Zucker und – heimliche Krankheit. […] System des Handels! […] Drei Weltteile durch uns verwüstet, […] in Schinderei und Tod versenkt. Die Wertschätzung anderer Kulturen, früherer Epochen und der „Volksdichtung“ Naturgefühl und Zivilisationskritik begünstigen auch die Hinwendung zu anderen Kulturen und früheren Epo­ chen. Die Autoren des Sturm und Drang begeistern sich für Amerika, für die Schweiz, für die Inseln der Südsee 2 4 6 8 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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