Literaturräume, Schulbuch

DIe anfänge Der DeutschsprachIgen lIteratur Im frühen mIttelalter (770–910 unD 1060–1170) 10 DIe lIteraturübersIcht Drei Richtungen der Literatur und 150 Jahre Schweigen Drei Strömungen Aus den politischen und kulturellen Grundlagen dieser Epoche ergeben sich drei literarische Strömungen. Einer­ seits will Karl der Große alte germanische Elemente bewahren, andererseits soll die Literatur zur Christianisie­ rung der Germanen eingesetzt werden. Als dritte Strömung zeigt sich eine von der Christianisierung nicht voll­ ständig verdrängte Literatur heidnischer Zauber, Segensund Beschwörungssprüche. Die Bewahrung der germanischen Elemente Um sich auf gleicher Ebene gegen die zweite europäische Großmacht, das oströmische Reich, zu behaupten, war es Karl wichtig, den germanischen Stämmen eine sprachliche und kulturelle Identität zu geben. Deshalb förderte er das gemeinsame germanische Element und veranlasste die Aufzeichnung der alten germanischen Helden­ lieder. Allerdings ließ sein Sohn und Nachfolger Ludwig der Fromme die Sammlung aus religiösen Gründen ver­ brennen. So ist nur ein Zeugnis dieser frühen deutschen Literatur aus glücklichem Zufall erhalten, das fragmen­ tarisch überlieferte Hildebrandslied (1). Der christliche Auftrag Eine bedeutende Rolle spielt die Christianisierung der Germanen. Die Sprache der Kirche war die lateinische Sprache, in der auch die antike Kultur überliefert wurde. Aus diesem Grund ließen Karl und seine Nach­ folger philosophische, vor allem aber christliche lateinische Texte ins Deutsche übersetzen: Gebete, Glaubensbekenntnis, Evangelien(zusam­ menfassungen), Weltschöpfungs und untergangstexte, Psalmen, Mönchsregeln, Predigten. Allerdings wurden im Frankenreich zahlreiche deutsche Dialekte gesprochen, z. B. Alemannisch, Fränkisch, Bairisch, Langobardisch als althochdeutsche, Altsächsisch und Niederfränkisch als altniederdeutsche Mundarten. Deshalb erscheinen die Übersetzungen immer in verschiedenen Mundarten des Deutschen, das als einheitliche Schriftsprache noch nicht existierte. Geschrieben wurden diese Hand­ schriftentexte in Karls Hofakademie und in den Schreibstuben der Klös­ ter wie zum Beispiel St. Gallen, Reichenau, Murbach im alemannischen Raum, Freising, Passau, Salzburg im bairischen Raum und Fulda, wo alt­ sächsisch und fränkisch geschrieben wurde. Zeugnis von diesen Übersetzungen geben zum Beispiel der Abrogans (2) , der Wessobrunner Weltschöpfungsmythos (3) und das Evangelienbuch Otfrieds von Wei­ ßenburg. Otfrieds Übertragung der Evangelien ist das erste deutschspra­ chige Werk, das statt des Stabreims, bei dem wichtige Wörter mit dem gleichen Laut beginnen, den Endreim verwendet. Ein rätselhaftes Werk ist das so genannte „Muspilli“. Es wurde um 870 aufgezeichnet und be­ richtet vom Weltenbrand, der das Endgericht – das „mûspilli“ – einleitet. Niemand kann dem anderen dabei helfen: „Dâr ni mac denne mac andre- mo / helfan vora deme mûspille.“ Das Überleben des „heidnischen“ Untergrunds Zwar vollzog sich der Glaubenswandel der germanischen Stämme in rela­ tiv kurzer Zeit, die Bekehrung blieb aber nicht selten eine äußerliche. Germanische Kultelemente überdauerten in mündlicher Form und wur­ den dann und wann auch aufgezeichnet, oft als bloße „Schreibübung“. INFO Der Begriff „deutsch“ Der Begriff gehört zum frühen deutschen Wort theota , das sich zu diet entwickelt und Volk bedeutet. „Deutsch“ heißt also „zum eigenen Volk gehörig, die Sprache des eigenen Volkes sprechend“ und wird in karolingischer Zeit in bewusstem Gegensatz zur „lingua romana“, der lateinischen Sprache, und ihren sich im Westen des Karolinger­ reichs entwickelnden romanischen Tochtersprachen verwendet. Eine der ersten Erwähnungen des Begriffs „deutsch“ hat einen starken Österreichbezug. Im Jahr 788 wird, unter der Regierung Karls des Großen, Herzog Tassilo III. in einer Reichsversammlung der Franci, Baioarii, Langobardi et Saxones zum Tode verurteilt. Tassilo ist Kolonisator österrei­ chischen Gebietes. Das in lateinischer Sprache verfasste Prozessdokument beschuldigt ihn eines Verbrechens, „quod theodisca lingua harisliz dicitur“ – das in deutscher Sprache Spaltung des Heeres genannt wird. Mit Tassilo verbunden ist eines der größten frühen Kunstwerke auf dem Boden Österreichs, der Tassilo­ kelch im Stift Kremsmünster. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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