Killinger Literaturkunde, Schulbuch

79 20 25 30 35 40 Begriff, die abgedroschene Streitigkeit zu erneuern, welche über der abgeschmackten Frage entstanden ist, ob das weibliche Geschlecht auch zum Studieren geschickt sei. Wir sind ebenso Menschen als die Mannspersonen, und das wird niemand im Ernst leugnen, er wäre denn ein Narr. Wir haben eben die Kräfte, die die Mannspersonen besitzen, eben die Fähig- keiten, in der Gelehrsamkeit etwas zu tun. [...] Diejenigen Vorurteile, mit denen unser Verstand in der Jugend angefüllt worden ist, bleiben lebenslang unausgerottet. Die Schmeicheleien und Unwahrheiten, die man uns, sobald wir zu erwachsen anfangen, von unseren Vortref—ichkeiten sagt, verderben unseren ohnehin schon verdorbenen Willen noch mehr, sodass es fast unmöglich ist, jemals zu einer recht- schaffenen Selbsterkenntnis zu gelangen. Warum waffnet man uns denn nicht mit einer guten Vernunft- und Sittenlehre dagegen? [...] Unsere Gesellschaften und Zusammenkünfte, welche verständigen Mannspersonen so oft zum Gelächter, ja gar zum Ärgernisse werden, kommen ihnen aus keiner anderen Ursache lächerlich oder ekelhaft vor, als weil wir uns die Zeit mit nichtswürdigen oder auch gar sün- digen Dingen vertreiben. Ich habe gemerkt, dass die Gespräche der Frauenzimmer in den Gesellschaften meistenteils von abwesenden Personen handeln, die mit allen ihren Verrich- tungen so abscheulich und lieblos durchgezogen werden, dass ein ehrliches Gemüt, welches solche Lästerungen anhören muss, den ärgsten Widerwillen emp›ndet. [...] Wer jedoch den unschätzbaren Wert der Zeit erkennt, der wird für sich selber urteilen, ob man sie so unverantwortlich verschwenden und missbrauchen darf. [...] Unsere Unwissen- heit ist allein schuld, dass wir uns nicht besser zu unterhalten wissen und dass wir die Zeit so liederlich und sündhaft vertun, die wir doch mit artigen, geistreichen und erbaulichen Unterredungen zubringen könnten. 3. Beschreiben Sie anhand von Textzitaten, was Gottsched am Bildungssystem seiner Zeit angreift, was er den Frauen im Namen einer Frau vorwirft, welche Vorschläge zur Verbesserung der Bildung von Frauen er macht. 4. Fassen Sie Gottscheds Meinung in heutiger Ausdrucksweise zusammen. 5. Diskutieren Sie die beiden folgenden Aspekte: • Beurteilen Sie Gottscheds Vorgehen, in der Rolle einer Redakteurin zu schreiben. • Stellen Sie dar, wie bzw. wie sehr sich Menschen heute von Medien „erziehen“ lassen. Gottsched hatte als Reformer begonnen: Er erneuerte die Dichtkunst, reinigte das Theater und säuberte die Sprache. Doch die Zeit ging über seine engen Reglementierungen hinweg, ohne dass er sich weiterentwickeln konnte. Gleich von mehreren Seiten wurde der deutsche „Literaturpapst“ heftig angegriffen. Es entstand ein regelrechter Literaturkrieg, besonders mit den beiden Züricher Gelehrten Johann Jakob Bodmer (1698 – 1783) und Johann Jakob Breitinger (1701 – 1776). Sie waren der Meinung, dass man das Genie nicht mit Regeln fesseln dürfe. Grundelement der Poesie sei die freie Phantasie und die Darstellung des Wunderbaren. Kants auffassung von der aufklärung Der Königsberger Philosoph Immanuel Kant (1724 – 1804), dessen Philosophie zum Deutschen Idealismus gerechnet wird, der aber auch ein wichtiger Vertreter der Aufklärung in Deutschland war, hat in dem Aufsatz für eine Berliner Zeitschrift unter dem Titel Beantwortung einer Frage: Was ist Gottscheds literaturkrieg mit den Schweizern 4w4mk9 die auFKlÄrunG | 1700 – 1770 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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