Killinger Literaturkunde, Schulbuch

76 Zur Bildung der Erwachsenen schrieb eine Reihe bedeutender französischer Gelehrter das erste Le- xikon (die „Encyclopédie“), in dem das gesamte Wissen der Zeit vom Standpunkt der Aufklärung dargestellt wurde. Der einflussreichste französische Aufklärer war Voltaire (1694 – 1778, François Marie Arouet), ein äußerst vielseitiger Schriftsteller und Denker, dessen Urteile von zwei Generationen übernommen wurden. Voltaire lebte drei Jahre am Hof König Friedrichs II. von Preußen und prägte den „aufge- klärten Absolutismus“ entscheidend mit. Er schrieb Dramen, Romane, Epen, philosophische Werke, Streitschriften und Artikel für die „Encyclopédie“. Das gebildete Bürgertum, das weder politischen Einfluss noch wirtschaftliche Macht besaß, erhob Anspruch auf Beteiligung am Staat. Die Legitimation dafür waren literarische Bildung und moralische Lebensgrundsätze. In beiden Bereichen wusste sich der Bürger dem Adeligen überlegen. 2. Diskutieren Sie die Frage, inwieweit die in der Aufklärung propagierten Aspekte des verstehen- den Lernens und der lebenspraktischen Ausrichtung des Unterrichts nach wie vor berechtigte Forderungen an den heutigen Unterricht sind. L I TERATuR DER AufkLäRung Die Literatur hatte für die Aufklärer den Zweck, den Menschen zu bilden, zu erziehen und zu un- terhalten. Der Dichter musste ein gelehrter Mann sein und sich nach Regeln richten. Die künstle- rische Produktion war vom Verstand zu kontrollieren. Die Dichtungsgattungen mussten säuberlich geschieden sein, Tragik und Komik durften nicht vermischt werden (wie etwa bei Shakespeare). Im Mittelpunkt der Dichtung standen Menschen, die sich durch ihren Willen und ihre Vernunft zu vollkommeneren Wesen entwickelten. Im deutschen Sprachraum waren die bevorzugten Formen der Literatur unter anderem das Lehrge- dicht, die Fabel und satirische Darstellungen, in denen der „esprit“ (Geist, Witz) eine große Rolle spielte. Zunächst herrschte der Vers vor; Prosa galt nicht als künstlerische Gestaltung. Allmählich setzte sich – durch englischen Einfluss – der empfindsame Familienroman durch. Sehr beliebt war der Typ des Reiseromans. Die vielen Poststationen gaben der Hauptfigur Gelegenheit zu Bekannt- schaften und allerlei Abenteuern. In England vermochten Dramatiker/innen und Romanschriftsteller/innen ihr Publikum bis zu Tränen zu rühren. Unter ihren Werken findet man das erste bürgerliche Trauerspiel und den ersten Briefro- man. Eine herausragende Literatin im England des 17. Jahrhunderts war Aphra Behn (1640 – 1689). Nach dem Tod ihres Mannes lebte sie als freischaffende Schriftstellerin. Eine zweite Heirat lehnte sie entschieden ab, sie wollte keinesfalls zur finanziellen Absicherung eine Ehe eingehen. Behn schrieb sowohl Theaterstücke, die ein Fixpunkt im Repertoire der Londoner Bühnen bis zur Mitte des 18. Jahrhundert waren, als auch Prosa und Gedichte. Ihr Roman Love Letters between a Nobleman and his Sister gilt als erster Briefroman. Mit ihrem Hauptwerk, dem Roman Oroonoko über einen Sklaven in Suriname, beeinflusste sie massiv die Anti-Sklaverei-Bewegung. Die Frauenbewegung ehrt Aphra Behn als eine ihrer Vorkämpferinnen. Noch in den trivialen Liebesromanen des späten 19. Jahrhunderts sind die Spuren dieser rührseligen Literatur zu finden (z. B. die unglückliche Liebe zwischen einer Bürgerlichen und einem Adeligen). Träger der Literatur waren die akademisch Gebildeten aus dem dritten Stand, dem Bürgertum, be- sonders Theologen, Sprachgelehrte und Schulmänner. Die Schriftsteller lösten sich aus der Abhän- gigkeit von den Fürsten und vom adeligen Mäzenatentum. Friedrich Gottlieb Klopstock und Gott- anspruch des Bürgertums literatur als mittel der Bildung Gebildete aus dem 3. Stand Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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