Killinger Literaturkunde, Schulbuch

69 bis zu acht Stunden. Sie waren ein phantastisches Fest für die Augen und dienten der Verherrlichung des Glaubens oder des absolutistisch herrschenden Fürsten. Ein Heer von Mitwirkenden war für derartige Aufführungen notwendig: An den Fürstenhöfen wirk- ten ständig Bühnenarchitekten, meist Italiener, die weitläufige Palastbauten gestalteten, Hofmusiker und Hofdichter, Sänger, Tänzer und Komiker. Der wichtigste Mann war der Arrangeur, dem eine Schar von Handwerkern aller Art zur Verfügung stand. Riesige Summen wurden für die Aufbauten, für Kostüme, für Feuerwerk und Prunkwagen ausgegeben. Es ist klar, dass die Sprache bei derar- tigen Schaustellungen eine geringe Rolle spielte; alles war auf den glanzvollen optischen Eindruck abgestimmt. Diese Art „cäsarischer Spiele“ wurde für die wenigen hundert Menschen an den Höfen inszeniert; das Volk war davon ausgeschlossen. Seine Schaulust befriedigten Wanderbühnen und herumziehen- de Artisten, Seiltänzer, Schwertschlucker und Zauberer. Neben der Hofbühne gab es ein Volkstheater. Die ersten Berufsschauspieler waren englische Komö- dianten, die gegen Ende des 16. Jahrhunderts auf dem europäischen Festland auftauchten. Manche Truppen blieben in Deutschland und nahmen für abgehende Schauspieler deutsche Studenten und Handwerker auf. Bald wurde nur noch deutsch gesprochen; die Bezeichnung „englische Komödian- ten“ blieb jedoch auch dann, wenn kein Engländer mehr der Truppe angehörte. Die Komödianten spielten an Fürstenhöfen, aber auch in Städten, und blieben etwa 14 Tage an einem Ort. Gespielt wurde im Freien oder in großen Sälen auf einer Bretterbühne. Der Spielplan umfasste biblische und historische Stoffe, tragische und komische Stücke; auch Shakespeare wurde aufgeführt, allerdings in sehr entstellter Form. Textbücher gab es meist keine; die Spieler kannten den Gang der Handlung und sprachen aus dem Stegreif. Frauenrollen wurden anfangs von Männern gespielt. Den größten Eindruck auf das Publikum machten derbe Späße und blutrünstige Szenen. Die komische Figur vieler Stücke war der Pickelhering, der gewöhnlich vom Prinzipal, dem Leiter der Truppe, gespielt wurde. Pickelhering war als Narr und Spaßmacher, der in der Mundart sprach, der Liebling des Volkes. Er legte zu Beginn den Gang der Handlung dar, erklärte zwischendurch und fasste das Geschehen zusammen. Durch allerlei Missverständnisse, Vergessen, Erinnern an falscher Stelle und Wörtlichnehmen brachte er sein Publikum immer wieder zum Lachen. In die Handlung war er meist als Diener eingebaut, der gerufen und weggeschickt werden konnte, wie es die „Re- gie“ erforderte. Auch die italienische Commedia dell’arte hatte als stehende Figur den komischen Diener, den der Harlekin spielte; seine Partnerin war Colombine. Beide hatten ein in allen Stücken gleich bleibendes Kostüm und ein stark geschminktes Gesicht. Ihr Hu- mor ging vor allem von einer grotesken Mimik und Gestik aus, weniger vom Wort. Die Figuren der italienischen Komödie waren Typen, wie sie zum Teil seit der Antike überliefert wurden: das jugendliche Liebespaar, der geschwätzige alte Dottore, der geizige Kaufmann, der aufschneiderische Offizier und der Intrigant. Textbücher gab es auch hier keine; so wurde die Improvisation zum Kennzeichen dieser Art von Typenkomödie, die von der Situationskomik lebte und sogar Akrobaten- und Zau- bereinlagen nicht scheute. Italienische Wanderbühnen erfreuten sich zeitweise in Wien und Paris großen Zu- spruchs. Die Franzosen übernahmen diese italienische Art des Theaterspielens, bau- ten jedoch Chansons in die Stücke ein, und so entstand eine Komödie mit Musik und Gesang, aus der sich die komische Oper entwickelte. Schauspieltruppen Komische Figur Juan Gris, Sitzender Harlekin mit Gitarre 25gq8y DAS BAROCK | 17. JAHRHUNDERT Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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