Killinger Literaturkunde, Schulbuch

57 15 20 25 30 erbeutet hatten, daß ich auf der andern Seite wieder herab auf meine liebe Sackpfeiffe fallen muste, welche so erbärmlich anŒng zu schreyen und einen so kläglichen laut von sich zu geben, als wann sie alle Welt zur Barmhertzigkeit hätte bewegen wollen, aber es halff nichts, wiewol sie den letzten Athem nicht sparete, mein Unfäll zubeklagen; ich muste ein- mal wieder zu Pferd, Gott geb was meine Sackpfeiffe sang oder sagte. Und was mich zum meisten verdroß, war dieses, daß die Reuter vorgaben, ich hätte der Sackpfeiffe im Fallen weh gethan, darum sie dann so ketzerlich geschrien hätte. Also gieng meine Mehr 1 mit mir dahin, in einem stetigen Trab bis in meines Knäns Hof. Wunderseltzame Dauben und kau- derwelsche Grillen stiegen mir damals ins Hirn, dann ich bildete mir ein, weil ich auf einem solchen Thier sässe, dergleichen ich niemals gesehen hatte, so würde ich auch in einen ei- sernen Kerl vermethomorphosirt 2 werden, indem ich diejenigen, die mich fortführten, auch gantz eisern sahe. Weil aber solche Verwandlung nicht folgte, kamen mir andere Grillen in meinen albern Kopff, ich gedachte, diese fremde Dinger wären nur zu dem Ende da, mir die Schafe helffen heimzutreiben, sintemal 3 keiner von ihnen keines hinweg fraß, sondern alle so einhellig und zwar des geraden Wegs in meines Knäns Hof eileten; derowegen sahe ich mich ”eissig nach meinem Knän um, ob er und mein Meüder 4 uns nicht bald entgegen ge- hen und uns willkommen seyn heissen wolten; aber vergebens, er und meine Meüder samt unserm Ursele, welches meines Knäens einzige und liebste Tochter war, hatten die Hinter- thür getroffen, das Reißaus gespielt und wolten dieser heillosen Gäste nicht erwarten. 3. Kommentieren Sie obenstehenden Textausschnitt nach der Ausgabe von 1671: • Beschreiben Sie, was uns heute das flüssige Lesen und das Verständnis erschwert. • Stellen Sie dar, welchem offensichtlichen Irrtum der Bub verfällt. • Erläutern Sie, welche Wendungen und Ausdrücke im Gegensatz dazu von gelehrtem Wissen zeugen. • Stellen Sie Hypothesen darüber auf, wie dieses Missverhältnis zu erklären ist. • Kommentieren Sie, wie Grimmelshausen seine Hauptfigur mit dieser Geschichte charakterisiert. Im 4. Kapitel des 1. Buches schildert Simplicius den Überfall auf den Hof seines Vaters. 5 Simplicius führt die Soldaten zum Hof seines Vaters Wiewol ich nicht bin gesinnet gewesen, den friedliebenden Leser mit dieser leichtfertigen reuter Pursch 5 in meines Knäns Hauß und Hof zuführen, weil es schlim genug darinn hergehen wird: So erfordert jedoch die Folge meiner Histori, daß ich der lieben posterität 6 hinterlasse, was vor abscheuliche und gantz unerhörte Grausamkeiten in diesem unserm Teutschen Krieg hin und wieder verübet worden, zumalen mit meinem eigenen Exempel zu bezeugen, daß alle solche Ubel von der Güte des Allerhöchsten zu unserm Nutz offt noth- wendig haben verhängt werden müssen. Dann, lieber Leser, wer hätte mir gesagt, daß ein Gott im Himmel wäre, wan keine Krieger meines Knäns Hauß zernichtet und mich durch 1 Mehr: Mähre = Pferd, Stute 2 metamorphosieren: verwandeln (von Metamorphose) 3 sintemal: seit, da 4 Meüder: mundartliche Form für Mutter 5 Pursch: Schar von Reitern 6 posterität: Nachwelt 39v9a2 DAS BAROCK | 17. JAHRHUNDERT Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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