Killinger Literaturkunde, Schulbuch

54 und wurde in zahlreichen Poetiken vermittelt. Das erste und einflussreichste barocke Lehrbuch der Dichtkunst stammt von Martin Opitz (1597 – 1639): Buch von der Deutschen Poeterey , 1624. Die Lehrsätze von Martin Opitz galten ein Jahrhundert lang im deutschen Raum als verbindlich. Opitz verdeutlichte seine Regeln an eigenen Versen und an Übersetzungen, besonders aus dem Lateinischen und Französischen. Er wollte aber nicht nur ein Lehrmeister der Poetik sein; er wollte auch nachweisen, dass sich die deutsche Sprache ebenso gut wie die lateinische und die französische als Sprache hoher Dichtung eigne, nicht bloß als Verständigungsmittel des ungebildeten Volkes. Er wollte dazu beitragen, dass eine auch von anderen Nationen anerkannte deutsche Poesie entste- he. Tatsächlich gab es damals kein einziges Werk in neuhochdeutscher Sprache, das man in seiner Bedeutung mit ausländischen Werken hätte vergleichen können, etwa mit Dantes Commedia , mit dem Don Quijote 1 von Cervantes, mit den Dramen Shakespeares oder den Komödien Molières. Der deutsche Raum musste literarisch arm und zurückgeblieben wirken. Bei den Vorschriften für das Drama folgte Opitz älteren Auffassungen und führte die so genannte Ständeklausel ein: In der Tragödie dürfen nur Helden, Könige und Fürsten vorkommen. Sie sprechen eine hohe Sprache und weisen die nötige „Fallhöhe“ auf. Nur durch den tiefen Fall eines Hochge- stellten könne das Publikum erschüttert werden. „Gemeine“ Leute mit einer einfachen Sprache und alltäglichen Geschäften dürfen nur in der Komödie auftreten. Diese Auffassungen herrschten bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts; sie wurden schließlich vom „bürgerlichen Trauerspiel“ durchbrochen. Opitz formulierte auch das Akzentgesetz, mit dem die antike, silbenzählende Metrik abgelöst wurde. Er stellte fest, dass in der deutschen Sprache nicht die Längen und Kürzen für den Vers entscheidend sind, sondern der Wortakzent, d. h. Hebungen und Senkungen. Der Barockdichter steht in der Tradition der antiken Dichtung und der neulateinischen Dichtung des Humanismus. Er fühlt sich obendrein an die Vorschriften poetischer Lehrbücher gebunden. Das Dichten gilt als erlernbar und wird zur Kunstübung gelehrter Männer. So ist verständlich, dass der Barockdichter in der Regel nicht aus einem starken Erlebnis, aus einem überströmenden Gefühl heraus schafft. Vielmehr behandelt er kunstvoll und mit viel Überlegung Themen, die allgemein als poetische Themen gelten. Nicht auf das Was, sondern auf das Wie kommt es ihm an. Nichts wird schmucklos und direkt hingesetzt; denn dichterische Sprache muss sich durch poetische Gestaltung von der Ausdrucksweise im Alltag unterscheiden. Alle Register eines umfangreichen Stilinstrumen- tariums werden gezogen, um dem sprachlichen Ausdruck Glanz und Würde zu verleihen. So ge- winnt er feierliche, ja pathetische Wirkung. Gerade darin unterscheidet er sich von der Sprache der modernen Literatur. BARockRoMAn Der Barockroman geht auf französische Vorbilder zurück. Ursprünglich beschäftigte sich der Barock- roman mit dem Leben von Herrschern, Königen und Fürsten. Erst später entwickelten sich andere thematische Schwerpunkte. In Bezug auf die Charakterzeichnung zeigen sich nur wenige Ansätze zu komplexen Figuren. Viel- fach sind die Romane der Barockzeit episodenhaft ohne einen genau durchkonstruierten Hand- lungsbogen. Der heroisch-galante Roman spielt an Fürstenhöfen unter Personen von höchstem Stand. Im Mittel- punkt steht das fürstliche Liebespaar, das nach unzähligen Abenteuern und Hindernissen zueinander Lehrbuch der Dichtkunst Idealistischer Fürstenroman 1 Don Quijote: sprich: ki’cho:te Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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