Killinger Literaturkunde, Schulbuch

53 1 memento mori (lat.): Bedenke, dass du sterben musst. Der Wechselhaftigkeit des Glücks (Symbole waren Fortunas Füllhorn und das Lebensrad) entspricht das Motiv der Vergänglichkeit (Vanitas-Motiv), dem man in der Literatur und in der Malerei und Graphik (der Tod als Sensenmann, die Vergänglichkeit der weiblichen Schönheit) begegnet. Die Antwort der Menschen auf dieses „memento mori“ 1 lautete: Genieße den Tag (carpe diem). Das Lebensgefühl des Barockmenschen ist gekennzeichnet durch die Spannung zwischen gierigem Le- bensgenuss und Todesmystik. Der Begriff „Barock“ stammt aus der Kunstgeschichte. Er bezeichnet den neuen, prunkvollen Stil der Baukunst, wie er zuerst in Italien aus der Renais- sance hervorging (etwa 1540) und über die Alpen kam. Schlösser, Klöster, Kir- chen, später auch Häuser reicher Bür- ger entstanden: Schloss Schönbrunn, das Belvedere, Schloss Mirabell, der Salzburger Dom, die Karlskirche in Wien und die Stifte Melk, Göttweig und Sankt Florian. Die Musik der Zeit diente vor allem der Verherrlichung Gottes (Kirchenmusik) und der Unterhaltung des Adels (z. B. Georg Friedrich Händel, der für ver- schiedene Adelshäuser tätig war). Aus Italien kam die Oper als Gesamtkunstwerk, das mit gewaltigem Aufwand zu einem Fest des Hofes mit Musik, Tanz, Feuerwerk und Farbenpracht (heutigen Shows nicht unähnlich) gestaltet wurde. Auch die Dichtung stand im Dienste des Fürsten und hatte seine Persönlichkeit zu preisen. Hof- poeten verfassten zu verschiedenen Anlässen (Geburtstag, Hochzeit, Regierungsjubiläum etc.) Hul- digungsdichtungen. Den „freien Schriftsteller“ gibt es erst vereinzelt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Lange Zeit hat man die Barockliteratur als „Schwulst“ abgetan, obwohl sie aus den- selben Quellen schöpft wie die Musik und die Architektur der Zeit und obwohl sie denselben Zielen dient: der Verherrlichung Gottes und der Fürsten. Auch die ästhetischen Mittel, wie der Prunk und das weit ausholende Pathos, sind vergleichbar. DIE spRAcHE unD DIE LEHRE von DER DIcHTkunsT Die Entwicklung der gemeindeutschen Sprache war noch nicht abgeschlossen. Die Druckereien der verschiedenen Landschaften hatten ihre eigenen Schreibgewohnheiten, die aus der Mundart zu erklären sind. Die Rechtschreibung war im 17. Jahrhundert noch nicht einheitlich geregelt. Ein weiteres Problem war die Überlagerung des Deutschen durch das Französische, das als Leitkultur anerkannt wurde. In vielen Städten bildeten sich Sprachgesellschaften, die sich zur Aufgabe gesetzt hatten, die Sprache von Fremdwörtern zu reinigen, deutsche Wörter dafür anzubieten und die Li- teratur zu pflegen. Der Barockdichter brauchte neben der sprachlichen Begabung gründliches Wissen über die Formen der Dichtkunst, über die darzustellenden Themen und deren Aufbau, über die Metrik (Verslehre) und die Stilmittel der Rhetorik (Redekunst). Dieses Wissen entschied über die Qualität des Textes Motiv der Vergänglichkeit Künste im Dienst der Fürsten Pflege der deutschen Sprache Schloss Versailles, Lithographie nach Nicolas-Marie-Joseph Chapuy 32j9tt DAS BAROCK | 17. JAHRHUNDERT Nur z Prüfzwecken – Eigentum es Verlags öbv

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