Killinger Literaturkunde, Schulbuch

46 Einen großen Teil der Reformationsliteratur machen die Streitschriften aus, die den Gegner häufig mit groben Beschimpfungen überschütten. Sozialkritische Gesichtspunkte führt der bedeutendste Gegenspieler Luthers ins Treffen, Thomas Müntzer. In seiner Hochverursachten Schutzrede (1524) bezieht er sich einerseits auf die Bauernkriege, andererseits kritisiert er in scharfer, bildreicher Spra- che Luthers Haltung gegenüber den Aufständischen: 5 10 Sieh zu, die Grundsuppe des Wuchers, der Dieberei und Räuberei sind unsere Herren und Fürsten. Sie nehmen alle Geschöpfe zum Eigentum. Die Fische im Wasser, die Vögel in der Luft, die P anzen auf Erden, ihnen muss alles gehören. Darüber lassen sie dann Gottes Gebot ausgehen unter die Armen und sagen: Gott hat befohlen, du sollst nicht stehlen. Aber selber halten sie sich nicht daran. Indem sie nun alle Menschen peinigen und den armen Ackermann und Handwerksmann und alles, was lebt, schinden und schaben, so muss er hängen, wenn einer von diesen sich dann am Allergeringsten vergreift. Dazu spricht dann der Doktor Luther: Amen. Die Herren bewirken selber, dass ihnen der arme Mann Feind wird. Die Ursache des Aufstands wollen sie nicht beseitigen. Wie kann es dann auf die Dauer gut werden? 3. Vergleichen Sie die Haltung Thomas Müntzers mit der, die er Martin Luther zuschreibt. 4. Recherchieren Sie die geschichtlichen Hintergründe der Bauernkriege und ihren Zusammen- hang mit der Reformation und fassen Sie diese zusammen. voLksTÜML IcHE L I TERATuR Im Zeitraum von 1470 bis 1600 entstand eine bürgerliche, manchmal auch kleinbürgerliche deutsche Literatur. Die Erfindung des Buchdrucks und die Verbreitung deutschsprachiger Bücher waren auch dafür die Voraussetzungen. Die Formen der Literatur waren sehr vielfältig: Es gab volkstümlich- unterhaltende Werke epischer und dramatischer Art (z. B. Schwanksammlungen, Fastnachtspiele, satirische Darstellungen menschlicher Torheiten). Bis in die Zeit Maximilians I. (gest. 1519) lebten die alten Formen des höfischen Epos, der Hel- dendichtung und der Minnedichtung fort. Allerdings wurden häufiger alte Werke umgeformt und nacherzählt als neue geschaffen. Außerdem begegnete man dieser Art der Literatur als Rückschau auf eine versunkene Zeit; denn das in diesen Werken dargestellte Rittertum gab es nicht mehr, es hatte längst seine politische, wirtschaftliche und militärische Bedeutung verloren. Das Bürgertum der Städte, die neue kulturtragende Schicht, schuf sich eigene literarische Ausdrucksformen. Beliebt war der Schwank, der auf realistische Weise die Konflikte im menschlichen Zusammenleben der Städter darstellt. Die Bürger waren auf engstem Raum (innerhalb der Stadtmauern) zusammengepfercht und hatten strenge moralische Verhaltensmuster entwickelt, besonders im Rahmen der Zünfte. Da war der Schwank eine Art Ventil für unterdrückte Wünsche und Zügellosigkeiten. Bevorzugte Inhalte waren: Ehekrach mit Prügel für die Frau, Untreue der Frau, eine Operation, die schlechte Eigenschaf- ten (wie Geiz, Eitelkeit, Narrheit) zutage förderte. Häufig erscheinende Typen waren: der betrunken heimkehrende Ehemann, der listige fahrende Schüler, der liebeshungrige Pfaffe, der betrügerische Kaufmann oder Arzt, die verführerische Dirne, das kupplerische alte Weib und der dumme Bauer. Gerade weil die Kleinbürger „Aufsteiger“ aus dem Bauernstand waren, distanzierten sie sich von dem dummen Karsthans (Schimpfwort für Bauer), der im Schwank auf jede mögliche Weise blamiert und bloßgestellt wird. Literarische Formen Bürgertum als Kulturträger Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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