Killinger Literaturkunde, Schulbuch

416 Zeilenstil liegt vor, wenn jede Verszeile eine syntaktische Einheit ist: 2 4 Ein weißer Fremdling tritt ins Haus. / Ein Hund stürmt durch verfallne Gänge. / Die Magd löscht eine Lampe aus. / Das Ohr hört nachts Sonatenklänge. / (Trakl ) Hakenstil oder Versbrechung (Enjambement) liegt vor, wenn syntaktische Einheiten über die Zeile fließen: 2 4 Ein Brunnen singt. Die Wolken stehn Im klaren Blau, die weißen, zarten. Bedächtig stille Menschen gehn Am Abend durch den alten Garten. (Trakl) Eine Zäsur ist ein Sinneinschnitt innerhalb eines Verses. Zäsuren finden sich vor allem in Langzeilen mit einer geraden Zahl von Hebungen: Der schnelle Tag ist hin / die Nacht schwingt ihre Fahn. (Gryphius) Mitunter trennt die Zäsur These und Antithese: Was dieser heute baut / reißt jener morgen ein. (Gryphius) Reim Texte in gebundener Sprache bringen nicht nur das Rhythmische, sondern meist auch das Klangli- che der Sprache zu besonderer Wirkung: Wörter werden so ausgewählt und angeordnet, dass eine Häufung gleicher Vokale und Konsonanten entsteht. Die Häufigkeit des Gleichklangs von Wörtern ist in den Sprachen sehr unterschiedlich: Das Italieni- sche bietet eine Fülle von Reimen an, im Englischen sind sie wesentlich schwieriger zu finden. Der Reim hat verschiedene Funktion: Er bindet Verse zu Sinn- und Klangeinheiten, er dient der melodischen Gliederung der Strophen, er kann aber auch symbolischen Charakter haben und reiner Schmuck sein. Die Romantiker strebten Gedichte an, deren Zweck nicht so sehr im Inhaltlichen als vielmehr in der Klangwirkung lag. Es gibt verschiedene Formen des Reims. Die älteste Form ist der auf die germanische Dichtung zu- rückgehende Stabreim (Alliteration), bei dem gleiche Konsonanten und alle Vokale untereinander reimen (vgl. Seite 6f.): mit M ann und M aus, bei W ind und W etter, T ür und T or, mit L eib und L eben. Vers- und Satzbau Reimformen Nu zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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