Killinger Literaturkunde, Schulbuch

413 Ein und derselbe Stoff kann in verschiedenen Milieus gestaltet werden. Schiller zeigt den Dreißig- jährigen Krieg in den Piccolomini und in Wallensteins Tod als Spiel der Mächtigen, Brecht in Mutter Courage als Jagd auf die Ohnmächtigen. Der triviale Liebesroman spielt meist in einem geschlossenen, gehobenen Milieu, um die Tagträume der Leser/innen zu bereichern. Der Konflikt kann sich aber auch aus dem Gegensatz verschiedener gesellschaftlicher Stände (bürgerliches Mädchen – adeliger Liebhaber) ergeben. Jedes Milieu kann positiv und negativ, ernsthaft und satirisch dargestellt werden. So haben die Stür- mer und Dränger die Welt des Adels als moralisch verwerflich gezeichnet, die Romantiker haben sie idealisiert. Die bäuerliche Welt ist bei Rosegger gesund, natürlich und Gott zugewandt; die Arbeit auf der Scholle adelt. In den Romanen von Franz Innerhofer und in der Alpensaga von Wilhelm Pevny und Peter Turrini erscheint die gleiche bäuerliche Welt brutal, unmenschlich, zurückgeblieben. Kleinbürgerliches Milieu wird von Gottfried Keller liebevoll und humorvoll gespiegelt, von Ödön von Horváth und Gernot Wolfgruber satirisch, anklagend und demaskierend. Politischer, sozialer und kultureller Hintergrund Jeder Text entsteht in einem Geflecht von zeitgeschichtlichen Bedingungen, denen die Autorin oder der Autor unterworfen ist, in denen sie oder er lebt und zu denen sie oder er Stellung nimmt. Seit je haben Dichter/innen die politische Situation in ihre Werke einbezogen und beurteilt: Walther von der Vogelweide hat seine Reichssprüche als politische Texte geschrieben, Bertolt Brecht hat den Klassenkampf in Dramen dargestellt. Die Stürmer und Dränger sowie die Jungdeutschen haben die absolutistische Fürstenmacht angeprangert, Autoren wie Wolf Biermann, Günter Kunert und Uwe Johnson die Unfreiheit in der ehemaligen DDR. Schriftsteller/innen kommen häufiger als andere Künstler/innen in Konflikt mit politischen Mächten. Das liegt an ihrem Darstellungsmittel, der Spra- che, das von nahezu jedermann verstanden werden kann. Im Gegensatz zur oppositionellen steht die affirmative (zustimmende) Haltung, die in Staaten mit allgemein verbindlicher Ideologie den Dichterinnen und Dichtern Publikationsmöglichkeit, Erfolg und Wohlstand sichert, sie werden belohnt für ihr Wohlverhalten in einer autoritären Umwelt. Ein poetischer Text kann soziale Probleme und Spannungen aufzeigen oder sie übergehen, ja zu- decken. Dementsprechend versuchen Autorinnen und Autoren gesellschaftsverändernd zu wirken ( Kabale und Liebe ) oder die Verhältnisse zu stabilisieren (das höfische Epos, der bäuerliche Heimat- roman). Poetische Texte können im Hinblick auf Bildung sehr hohe Ansprüche an die Leser/innen stellen. Die Werke der Klassiker z. B. setzen größtenteils die Kenntnis der griechischen Mythologie voraus. Ohne diese Kenntnis bleibt vieles unverständlich. Im Gegensatz dazu setzten die Kurzgeschichten nach 1945 und die Romane und Dramen der Neorealisten keine literarische Bildung voraus. Figuren, Figurencharakteristik und Figurenkonstellation In epischen und dramatischen Gattungsformen kommen „stehende Figuren“ vor, Typen, die in vielen Werken erscheinen und meist nur eine oder einige wenige Eigenschaften haben. Im Märchen zum Beispiel gibt es die böse Stiefmutter, den strengen König, den Dümmling; im Schwank die kei- fende Alte, den dummen Bauern, den Doktor, der die Leute prellt. Schon in der Antike verwendete stehende Figuren haben sich zwei Jahrtausende erhalten: der neugierige Wirt (noch in Lessings Minna von Barnhelm ), der prahlerische Soldat (in Max Frischs Andorra ), der geizige Alte, der ein junges Mädchen heiraten möchte, der geldgierige Kaufmann und andere. Hinzu kommt die lustige Einstellung der Autorinnen und Autoren Typische Figuren b8ah8j ALLGEMEINE MERKMALE VON TEXTEN Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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