Killinger Literaturkunde, Schulbuch

395 • Stellen Sie Vermutungen auf, mit welchem Ziel sich die Autorinnen einer so allgemeinen und so positiven Charakterzeichnung der Figuren bedienen. • Erläutern Sie, in welchem Milieu die Romane spielen. • Diskutieren Sie, wie die Romane enden werden. Man kann Kriminalromane und Detektivromane unterscheiden. Der Kriminalroman bietet die Ge- schichte eines Verbrechens. Im Mittelpunkt der Darstellung steht die Tat; Hauptfigur ist die Verbre- cherin oder der Verbrecher. Der Detektivroman ist die Geschichte der Aufklärung eines Verbrechens. Im Mittelpunkt steht die Jagd nach der Täterin oder dem Täter, die mit der Spurensicherung rund um die Leiche beginnt (analytischer Aufbau). Hauptfigur ist die Detektivin bzw. der Detektiv. Es gibt Kriminal- und Detektivromane mit hohem literarischem Anspruch, etwa von E. T. A. Hoffmann, Friedrich Dürrenmatt, Peter Handke und Gerhard Roth. Viele Produkte dieser Gattungsform gehören jedoch zur trivialen oder Heftchenliteratur. Die Detektivgeschichte ist lange Zeit eine anglo-amerikanische Spezialform geblieben. Als ihr Erfin- der gilt der Amerikaner Edgar Allan Poe (1809 – 1849) mit seiner 1841 erschienenen Geschichte vom Doppelmord in der Rue Morgue . Sein Detektiv, Chevalier Auguste Dupin, ist geprägt durch den Glauben an die Kraft des menschlichen Verstandes, der schließlich über das Unheimliche, Un- erklärbare siegt. Seine Nachfolger sind Sherlock Holmes, das Geschöpf von Arthur Conan Doyle (1859 – 1930), und Hercule Poirot, der Detektiv der Agatha Christie (1890 – 1976). Sie alle neh- men sich der kompliziertesten und höchst unrealistisch ausgedachten Fälle an, um die Perfektion ihrer analytischen Fähigkeiten zu demonstrieren. Es sind Gedankenspiele, die, gleich Schachpartien, mit Verstand und intuitiven Einfällen gelöst werden. Die Autorinnen und Autoren wurzeln in der Tradition des 19. Jahrhunderts. Sie glauben an die alle Probleme lösende Wissenschaft und an die Rechtmäßigkeit der bestehenden Ordnung, die wiederhergestellt werden muss. Die meistgelesenen – allerdings wenig eigenständigen – Krimis im deutschen Sprachraum sind die der Jerry-Cotton-Reihe aus dem Bastei Verlag, von denen pro Woche etwa 300.000 Exemplare her- gestellt werden. Das Grundschema solcher trivialen Krimis ist ähnlich einfach und gleichförmig wie das der trivialen Liebesromane: Die Bösen (Erpresser, Gangster, Mörder) bedrohen Glück, Gesundheit und Leben der Guten. Das Ziel ihrer Aktionen ist, Geld, Macht und Einfluss an sich zu reißen. Die Guten werden jedoch durch selbstlose Supermänner gerettet, die der Ordnungsmacht angehören. Das moralische Schema ist denkbar einfach: Triumph des Rechts über Unrecht und Verbrechen. Die Charakterzeichnung bedient sich einiger weniger Schablonen: Die Gangster sind zynisch, skru- pellos, kaltblütig, unerhört brutal; bei ihren bösen Taten gehen sie klug berechnend vor. Die auf der Seite des Rechts und der Menschlichkeit Kämpfenden sind auch äußerlich gewinnend; sie sind furchtlos und an Klugheit und umsichtigem Kombinieren den Gangstern überlegen. Der Handlungs- fortgang wird durch ständig neue Intrigen, Bedrohungen und Verbrechen erreicht. Auf diese Weise reißt die „Spannung“ nie ab; die Serien sind beliebig lange fortsetzbar. Sprachlich erweckt der triviale Krimi den Anschein, ein harter, realistischer Tatsachenbericht zu sein, sachlich, nüchtern und knapp. Die kurzen Absätze umfassen nur wenige – ebenfalls kurze – Sätze, sodass die Texte leicht fasslich sind. Sprachklischees sind eher noch häufiger als in den Liebesroma- nen zu finden. Kriminalroman – Detektivroman uc79rc DEUTSCHSPRACHIGE LITERATUR NACH 1945 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=